11 - Nie sollst Du vergessen
kommt nur von dieser Amerikanerin, dieser verwünschten Person!« Mit dem letzten Wort riss er ein besonders hartnäckiges Kraut mit solcher Gewalt aus dem Beet, dass er eine der noch nicht erblühten Lilien entwurzelte. Fluchend schlug er mit beiden Händen auf die Erde, um den Schaden wieder gutzumachen. »So läuft das nämlich bei den Amerikanern, Gideon. Ich hoffe, das ist dir klar«, sagte er. »Das passiert, wenn man eine ganze Generation von Faulpelzen, denen alles in den Schoß gefallen ist, unentwegt hätschelt und verwöhnt. Diese jungen Leute haben zu viel Zeit und wissen nichts Besseres damit anzufangen, als die eigene Disziplinlosigkeit ihren Eltern zum Vorwurf zu machen. Diese Person bestärkt dich doch nur in dieser Tendenz, die Schuld bei anderen zu suchen. Als Nächstes wird sie dir vorschlagen, dich in Talkshows auszusprechen.«
»Also, das ist wirklich nicht fair. Libby hat mit dieser Geschichte überhaupt nichts zu tun.« »Es ging dir glänzend, bis sie auf der Bildfläche erschien.«
»Zwischen uns ist nichts vorgefallen, was an diesem Problem schuld sein könnte.«
»Du schläfst mit ihr, hm?«
»Vater -«
»Treibst es richtig mit ihr?« Er blickte bei dieser letzten Frage zurück und sah wohl, was ich lieber vor ihm verborgen hätte. »Ah. Ja«, sagte er ironisch. »Aber sie ist nicht die Wurzel deines Problems. Ich verstehe. Dann sag mir doch mal, wann nach Meinung von Dr. Rose für dich der richtige Moment gekommen sein wird, wieder zur Geige zu greifen?«
»Darüber haben wir nicht gesprochen.«
Er richtete sich auf. »Das ist allerhand. Du gehst seit - seit wie vielen Wochen, drei oder vier? - dreimal wöchentlich zu ihr, aber ihr seid noch nicht dazu gekommen, über das eigentliche Problem zu reden? Findest du das nicht etwas ungewöhnlich?«
»Die Geige - das Spielen ...«
»Du meinst, das Nichtspielen.«
»Gut. Ja. Die Unfähigkeit zu spielen ist ein Symptom, Dad. Es ist nicht die Krankheit.«
»Erzähl das mal den Leuten in Paris, München und Rom.«
»Ich werde meine Verpflichtungen einhalten.«
»Na, wenn es so weitergeht wie bisher, bezweifle ich das.«
»Ich dachte, dir läge daran, dass ich zu ihr gehe. Du hast doch Raphael gebeten -«
»Ich bat Raphael um Hilfe, damit du wieder auf die Beine kommst, damit du wieder spielen, wieder auftreten kannst. Sag mir - schwör mir, gib mir die Zusicherung -, dass du von dieser Ärztin die nötige Hilfe bekommst. Ich bin doch auf deiner Seite, mein Junge. Glaub mir, ich bin auf deiner Seite.«
»Ich kann dir keine Zusicherungen geben«, sagte ich, und ich weiß, dass in meiner Stimme die ganze Niedergeschlagenheit mitschwang, die ich empfand. »Ich weiß nicht, was ich von ihr bekomme, Dad.«
Er wischte sich die Hände an seiner Jeans ab und fluchte leise, in einem Ton, der mir von Angst gefärbt schien. »Komm mit«, sagte er dann.
Ich folgte ihm. Wir gingen ins Haus, die Treppe hinauf in seine Wohnung. Jill hatte Tee gekocht. Sie hob ihre Tasse hoch. »Möchtest du, Gideon? Du, Schatz?«, fragte sie, als wir an der Küche vorüberkamen. Ich lehnte dankend ab, mein Vater reagierte überhaupt nicht. Jills Gesicht verdunkelte sich, wie mir das schon früher aufgefallen ist, wenn mein Vater sie nicht beachtet: nicht gekränkt oder zornig, sondern so, als messe sie sein Verhalten an irgendeinem heimlichen Verhaltenskodex, den sie im Kopf hat.
Mein Vater ging weiter, ohne etwas zu merken. Er führte mich in einen Raum, den ich das Großvaterzimmer nenne. Dort bewahrt er eine bizarre, aber durchaus aufschlussreiche Kollektion von Erinnerungsstücken auf: Sie reicht von Kinderlöckchen Großvaters im silbernen Kästchen bis zu Briefen vom Frontkommandeur des »großen Mannes«, die voll des Lobs über seine großartige Haltung während der Gefangenschaft in Burma sind. Ich habe den Eindruck, mein Vater versucht zeit seines Lebens so zu tun, als wäre sein Vater ein normaler oder außergewöhnlicher Mensch gewesen und nicht der, der er in Wirklichkeit war: ein zerstörter Geist, der sich aus Gründen, über die nie gesprochen wurde, mehr als vierzig Jahre lang am Rand der Geisteskrankheit bewegte.
Als er die Tür hinter uns schloss, glaubte ich zunächst, er hätte mich in dieses Zimmer gelotst, um ein Loblied auf Großvater zu singen, und merkte, wie ich ärgerlich wurde. Ich dachte, das wäre wieder ein Versuch, dem Gespräch mit mir auszuweichen.
Sie möchten jetzt wissen, ob er sich früher schon so verhalten hat, nicht
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