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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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anzusehen. Barbara zündete sich eine Zigarette an, während sie aus reiner Kollegialität ebenfalls ins Fenster blickte und sich fragte, was es da zu sehen gab.
    »Was ist denn?«, fragte sie schließlich, als Lynley wie gebannt ins Fenster starrte und sich dabei nachdenklich über das Kinn strich.
    »Er ist wie Menuhin«, erklärte er. »Es gibt da zu Beginn der beiden Karrieren eine Reihe von Ähnlichkeiten. Ob das allerdings auch auf die Familienbeziehungen zutrifft, ist die Frage. Menuhins Eltern standen von Beginn an voll hinter ihm. Wenn das bei Gideon Davies nicht -«
    »Menu-wer?«
    Lynley warf ihr einen Blick zu. »Auch ein Geiger, Havers. Auch ein ehemaliges Wunderkind.« Er verschränkte die Arme und stellte sich so hin, als hätte er vor, eine längere Diskussion über dieses Thema zu führen. »Das ist eine Frage, über die man vielleicht einmal nachdenken sollte: Wie gestaltet sich das Leben eine Paars, das entdeckt, dass es ein Genie in die Welt gesetzt hat? Solche Eltern sehen sich doch einer ganz anderen Art von Verantwortung gegenüber als die Eltern von Durchschnittskindern. Und wenn dann noch die Verantwortung für ein Kind hinzukommt, das auf andere Weise aus dem Durchschnitt herausfällt ...«
    »Ein Kind wie Sonia«, warf Barbara ein.
    »Richtig. Da werden zusätzliche Forderungen an die Eltern gestellt, die ebenso anspruchsvoll sind, wenn auch auf eine andere Art.«
    »Fragt sich nur, ob den Eltern der Einsatz in einem solchen Fall ebenso lohnend erscheint. Wenn nicht, wie gehen sie dann mit dem Problem um? Und wie wirkt sich das auf ihre Ehe aus?«
    Lynley nickte und wandte sich wieder dem Schaufenster zu. Barbara fragte sich auf Grund seiner Bemerkungen, wie weit in die eigene Zukunft er zu sehen versuchte, während sein Blick auf die Instrumente gerichtet war. Sie hatte ihm noch nicht von dem Gespräch erzählt, das sie am vergangenen Abend mit seiner Frau geführt hatte. Und jetzt schien auch nicht der geeignete Moment, es zu erwähnen. Andererseits hatte er ihr einen Einstieg geliefert, den man eigentlich nicht ignorieren konnte. Und vielleicht täte es ihm ja ganz gut zu wissen, dass es in seiner Nähe jemanden gab, mit dem er in den Monaten von Helens Schwangerschaft über eventuelle Sorgen oder Ängste sprechen konnte. Denn mit seiner Frau würde er das wohl kaum tun wollen.
    »So ganz wohl ist Ihnen nicht, hm, Sir?«, sagte sie und zog hastig an ihrer Zigarette, weil ihr selbst nicht ganz wohl war bei dieser Frage. Zwar arbeitete sie seit nunmehr drei Jahren mit Lynley zusammen, aber über persönliche Dinge sprachen sie nur sehr selten.
    »Wieso soll mir nicht ganz wohl sein, Havers?«
    Sie ließ den Rauch aus dem Mundwinkel entweichen, um nicht sein Gesicht einzunebeln, als er sich ihr wieder zuwandte. »Helen hat mir gestern Abend gesagt ... Ach, Sie wissen schon. Ich könnte mir vorstellen, dass man sich da doch gewisse Sorgen macht. Hin und wieder überfallen die bestimmt jeden. Ich meine ... Sie wissen schon.« Sie fuhr sich durch die Haare und machte den obersten Knopf ihrer Jacke zu, öffnete ihn aber gleich wieder, da es ihr die Kehle zudrückte.
    »Ach so, das Kind«, sagte Lynley. »Ja.«
    »Da gibt's doch sicher sorgenvolle Momente.«
    »Momente, ja«, erwiderte er ruhig und sagte dann: »Kommen Sie, gehen wir weiter.« Damit setzte er sich wieder in Bewegung, ohne noch einmal auf das Thema zurückzukommen.
    Eigenartige Antwort, dachte Barbara, eigenartige Reaktion. Und sie wurde sich bewusst, wie sehr sie in ihrer Erwartung seiner Reaktion auf die bevorstehende Vaterschaft vom Stereotyp ausgegangen war. Der Mann stammte aus einer alten vornehmen Familie. Er war von Adel - auch wenn so ein Titel heute ein Anachronismus war -, und es gab einen Familienstammsitz, den er mit Anfang zwanzig geerbt hatte. Von so einem Zeitgenossen erwartete man doch, dass er möglichst umgehend nach der Eheschließung einen Erben produzierte, oder nicht? Und er müsste jetzt eigentlich froh und glücklich sein, seine Pflicht so prompt erfüllt zu haben.
    Mit einem Stirnrunzeln warf sie den Stummel ihrer Zigarette auf die Straße, wo er in einer Pfütze landete und erlosch. Wahnsinn, was man alles über Männer nicht weiß, dachte sie.
    Der Sixty Plus Club hatte seine Räume in einem bescheidenen kleinen Bau neben einem Parkplatz in der Albert Road, und Barbara und Lynley wurden bei ihrem Eintritt sofort von einer Rothaarigen mit Pferdegebiss in Empfang genommen, die irgendetwas Duftiges

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