11 - Nie sollst Du vergessen
echter Kracher. »Sagten Sie Sahnehöschen, Mr. Pitchley?«
Sie befanden sich in einem Vernehmungszimmer der Polizeidienststelle: J. W. Pitchley, sein Anwalt - ein Zwerg namens Jacob Azoff mit üppig behaarten Nasenlöchern und einem großen Kaffeefleck auf der Krawatte -, ein Constable namens Stanwood und Leach, der die Vernehmung leitete, dabei Halspastillen lutschte und sich missmutig fragte, wann sein Immunsystem sich endlich darauf einstellen würde, dass er wieder ein Singledasein führte. Nur ein langer Abend im Pub und sämtliche der Wissenschaft bekannte Viren fielen über ihn her.
Pitchleys Anwalt hatte keine zwei Stunden vor dieser Sitzung angerufen. Sein Mandant wolle eine Aussage machen, hatte er Leach kurz mitgeteilt, und wünsche die Garantie, dass diese absolut vertraulich behandelt würde. Mit anderen Worten, Pitchley wolle auf keinen Fall, dass die Presse von seinem Namen Wind bekomme, und wenn auch nur die geringste Gefahr bestünde, dass man der Presse seinen Namen mitteilen würde ... und so weiter und so fort. Gähn, gähn.
»Er kennt das Verfahren«, hatte Azoff in bedeutungsschwerem Ton gesagt. »Wenn wir also zu einer Vereinbarung bezüglich der Vertraulichkeit dieses Gesprächs gelangen können, Chief Inspector, dann denke ich, können Sie sich darauf verlassen, dass mein Mandant sich aufrichtig bemühen wird, Ihnen bei Ihren Ermittlungen behilflich zu sein.«
Wenig später waren Pitchley und sein Anwalt eingetroffen und wie verdeckte Ermittler durch die Hintertür in die Dienststelle geführt worden. Nachdem sie die Erfrischungen bekommen hatten, die sie wünschten - frischen Orangensaft und Mineralwasser mit Limette, nicht Zitrone, bitte -, hatte man im Vernehmungsraum Platz genommen, wo Leach den Rekorder eingeschaltet und Datum, Uhrzeit sowie die Namen aller Anwesenden zu Protokoll gegeben hatte.
Bisher unterschied sich Pitchleys Aussage in nichts von dem, was er ihnen in der vergangenen Nacht erzählt hatte, er war lediglich in Bezug auf Namen und Örtlichkeiten etwas präziser geworden. Leider jedoch konnte er neben den Pseudonymen der Gespielinnen, mit denen er sich im Comfort Inn zu treffen pflegte, nicht mit einem einzigen richtigen Namen einer Person aufwarten, die seine Story hätte bestätigen können.
Verständlicherweise verwundert, fragte Leach: »Mr. Pitchley, wie kommen Sie auf die Idee, dass wir diese Frau ausfindig machen können? Wenn sie nicht einmal bereit war, dem Kerl, mit dem sie gebumst hat -«
»Dieser Ausdruck wird bei uns nicht gebraucht«, warf Pitchley verärgert ein.
»- ihren Namen zu nennen, wieso sollte sie dann ausgerechnet der Polizei gegenüber entgegenkommender sein? Sagt es Ihnen denn gar nichts, dass sie ihren Namen verheimlicht?«
»Bei uns ist das immer -«
»Lässt das nicht vermuten, dass sie auf keine andere Art als durch das Internet gefunden werden will!«
»Das gehört doch zum Spiel, dass wir -«
»Und wenn sie nicht gefunden werden will, könnte das dann nicht vielleicht heißen, dass es da jemanden gibt - einen Ehemann, zum Beispiel -, der nicht mit Begeisterung reagieren würde, wenn plötzlich ein Typ, der's vor kurzem mit seiner Frau getrieben hat, mit Blumen und Pralinen vor der Tür steht, weil er hofft, dass sie sein Alibi bestätigt?«
Pitchley wurde immer blasser und Leach immer ungeduldiger. Unter viel Stottern und Stammeln hatte der Mann zugegeben, dass er sich damit vergnügte, über das Internet mit älteren Frauen Kontakt aufzunehmen, die niemals ihren Namen nannten und niemals den seinen erfuhren. Pitchley behauptete, sich nicht erinnern zu können, mit wie vielen Frauen er sich seit der Einführung von E-Mail und Chatrooms getroffen habe. Er hätte die einzelnen Cybernamen nicht mehr im Kopf, sagte er, aber er könne schwören, dass er bei jedem persönlichen Zusammentreffen, das zu Stande gekommen war, nach gleicher Weise verfahren sei: Drinks und Abendessen im Valley of Kings in South Kensington, danach mehrere Stunden kreativer Sex im Comfort Inn.
»Dann wird man sich ja entweder im Restaurant oder Hotel an Sie erinnern?«, meinte Leach.
Da könnte es, erwiderte Pitchley einigermaßen niedergeschlagen, ein Problem geben. Die Kellner im Valley of Kings seien Ausländer, ebenso der Nachtportier im Comfort Inn. Und Ausländer hätten nun mal meist kein Gedächtnis für englische Gesichter, nicht wahr? Denn Ausländer - »Zwei Drittel der Bewohner Londons sind Ausländer«, fiel Leach ihm ins Wort. »Wenn Sie
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