1104 - Die Spur des irren Köpfers
spürte, erkannte ich an ihrem Gesicht. Es zuckte leicht, doch die Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Auf ihre Züge legte sich ein Strahlen, ohne daß sie die Augen geöffnet hätte. Dann bewegte sie ihre Lippen. »Es ist ein kleines Wunder«, flüsterte sie. »Ich spüre eine Macht, wie es mir noch nie… noch nie…« Ihr fehlten die Worte, und sie stöhnte leise auf.
Als ich das Kreuz genauer ansah, bemerkte ich, daß sich ein leichter Glanz darüber gelegt hatte. Er war nicht als negativ anzusehen. Der Glanz diente mehr als Zeichen, daß genau die richtige Person das Kreuz in der Hand hielt.
»So wunderbar«, sagte sie. »So einmalig. Ich habe so etwas noch nie gehabt.« Sie atmete schwer.
»Du mußt wirklich ein besonderer Mensch sein, wenn sich so etwas in deinem Besitz befindet.«
»Es ist meine stärkste Waffe. Das Kreuz ist ein Garant gegen das Böse. Es scheucht die Mächte der Finsternis zurück, und es ist das Zeichen des Sieges. Das Licht hat über das Dunkel gesiegt, und es ist alt, sehr alt.«
»Ja, bestimmt.« Sie ließ ihren Daumen über das Kreuz gleiten und berührte alle eingravierten Insignien. Dabei verlor sich das Lächeln auf ihren Lippen, und schließlich schüttelte sie den Kopf.
»Schade«, sagte sie leise. »Es ist sehr schade, aber du kannst mit dem Kreuz hier nicht viel anfangen.«
»Warum nicht?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Es gibt leider keinen Feind… ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Wir Indianer kennen eine andere Mystik, eine andere Welt, auch andere Götter. Ich glaube nicht, daß es den Diener des Tawiskara töten kann.«
Una gab mir das Kreuz zurück, und ich hängte es an seinen Platz. »Wie können wir ihn ausschalten?«
Die Indianerin seufzte. Dann senkte sie den Kopf und schaute auf die Knie, die von beiden Händen bedeckt wurden. »Es wird zu einem schweren Kampf kommen«, erklärte sie. »Er weiß, wer unsere Feinde sind, und wir müssen schlauer sein als er. Aber wir können den Kampf gewinnen, auch wenn es Opfer geben sollte.«
»Was meinst du damit?«
»Es ist möglich, daß wir nicht beide überleben. Und dein Freund wird es auch schwerhaben. Er hat sich auch nicht zurückgezogen. Ich weiß, daß er sich noch in der Nähe aufhält. Sein Geist kreist hier durch das Krankenhaus.«
»Können wir ihn nicht weglocken?«
Una schüttelte den Kopf. »Nein. Er wird sich nicht locken lassen. Diese Nacht ist für ihn wichtig. Er will in diesen Stunden all seine Feinde vernichten.«
»Dazu zählt auch mein Freund?«
»Leider.«
Ich saß plötzlich wie auf den berühmten heißen Kohlen. Ich stellte mir vor, wie ihn die Ärzte behandelten, und ich dachte dabei daran, daß er wehrlos war. Wie auch die Mediziner, denn einer wie Dobbs würde auch sie töten.
Ich stand auf.
»Wo willst du hin?«
»Zu meinem Freund Abe Douglas. Es kann sein…«
»Nein, John, nein. Es kann nichts sein. Wenn etwas passiert wäre, dann hätte ich es gespürt. Es ist immer etwas Besonderes, wenn jemand einem anderen Menschen das Leben nimmt. Das ist grausam, und es entstehen da Dinge, die ich selbst nicht begreife. Dann werden Kräfte frei, die an mir nicht spurlos vorübergehen. Ich fange sie leider auf, und ich muß damit leben. Aber ich habe nicht gespürt, daß jemand getötet wird. Du kannst dich auf mich verlassen.«
Das mußte ich akzeptieren, doch meine Zweifel waren nicht vollständig verschwunden. Das blieb auch Una nicht verborgen, die wieder nach meiner Hand fassen wollte, um mich zu beruhigen. Ich war ja froh, daß ich sie an meiner Seite wußte. Hin und wieder meinte das Schicksal es schon gut mit mir.
Jemand stieß die Tür am Ende des Flurs auf. Ein Mann im weißen Kittel erschien. Es war der Arzt, der uns auch in Empfang genommen hatte, als wir das Krankenhaus betreten hatten. Ein noch junger Mann mit sehr dunklen Haaren, die er glatt zurückgekämmt hatte. Schon auf dem Weg zu mir winkte er mit beiden Händen ab.
Die Geste beruhigte mich. Trotzdem fragte ich sofort nach Abe Douglas.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Mister…«
»Ich heiße John Sinclair.«
»Also gut, Mr. Sinclair. Ich kann Sie beruhigen. Ihrem Freund geht es gut. Er wird zwar noch einige Tage zur Beobachtung bei uns bleiben müssen, aber dann kann er wohl entlassen werden, nehme ich an.«
»Ich möchte zu ihm und…«
»Das können Sie.«
»Wo liegt er?«
»Wir haben ihn in die zweite Etage gebracht. Es ist das Zimmer Nummer neunzehn.«
»Danke.«
Der Arzt
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