1105 - Glendas Totenhemd
zu begreifen, denn sie fand sich in ihrem eigenen Laden wieder und wurde von einer dunkelhaarigen Person fassungslos angestarrt…
***
Mich hatte der Schlag getroffen wie von einer Faust geführt, und ich war quer durch den Raum geschleudert worden. Alles war so schnell gegangen, daß ich mich nicht darauf hatte vorbereiten können, und so war ich mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen und sah Sterne vor meinen Augen blitzen.
Mich hatte nicht der Schock über diesen verdammten Gegenschlag erwischt, es war etwas ganz anderes gewesen, das mir Sorgen bereitete. Das Kreuz hatte sich gegen mich gestellt. Normalerweise war es der beste Helfer und Schutz, den ich mir vorstellen konnte. In diesem Fall war alles anders gekommen. Nicht das ungewöhnliche Kleid oder Totenhemd war angegriffen worden, sondern ich selbst, und genau das machte mich so fertig. Es war unmöglich. In diesem verdammten Laden hatten sich die alten Gesetze auf den Kopf gestellt.
In der Nähe stand ein Ständer. Ich mußte erst einen Teil der Kleider zur Seite schieben, um freie Sicht zu haben. Die Schreie hatte ich noch gehört, doch sie waren jetzt verstummt. Glenda hatte sie ausgestoßen. Sie stand nun da und kümmerte sich nicht um mich, weil sie das Kleid mit einem Augenausdruck anstarrte, der für mich unbeschreibbar war. Staunen, Entsetzen, Fassungslosigkeit, alles vereinigte sich darin, und Glenda war auch nicht in der Lage, sich zu bewegen.
Selbst ich dachte nicht mehr an meinen malträtierten Hinterkopf und auch nicht an mein Kreuz. Ich hockte jetzt am Boden und starrte nur nach vorn.
Das Kleid war nicht mehr leer!
Zuerst dachte ich an einen Spuk und zwinkerte einige Male. Aber das Bild verschwand nicht. Diesmal umhüllte das Kleid den Körper einer schwarzhaarigen Frau, die von irgendwoher gekommen sein mußte und sich das Kleid übergestreift hatte.
Es umschloß ziemlich eng ihre Figur. Man konnte sagen, daß es perfekt paßte.
Doch das war für mich nebensächlich. Mich interessierte mehr die Frau, deren Körper an verschiedenen Stellen Kratzwunden aufwies, aus denen auch Blut geflossen war. An der Kehle, am Hals, an der Brust, auch an den Armen.
Die Frau hatte mich nicht gesehen. Ihr Blick konzentrierte sich auf eine entsetzte und auch staunende Glenda Perkins, die noch immer nicht in der Lage war, auch nur ein Wort zu sprechen.
Unser Verdacht hatte sich irgendwie bestätigt. Wir waren wieder einmal in ein magisches Umfeld gelangt wie die berühmte Jungfrau zum Kind. Die andere Macht war der Magnet, und ich war das Eisen.
Die Fremde mit der stark sonnenbraunen Haut und den dunklen Fransenhaaren atmete laut und heftig. Sie schüttelte sich dabei und lockerte so die dünnen Träger des Kleids, so daß sie zuerst rutschten und dann der übrige Stoff völlig normal an ihrem Körper herabfiel und sich zu ihren Füßen zusammenfaltete.
Mit einer zittrigen Bewegung stieg die Nackte aus dem Stoff hervor. Ich sah die anderen Kratzwunden, die sich auf dem Körper verteilten und mich beinahe an ein makabres Schnittmuster erinnerten.
Sie sagte kein Wort. Sie ging einfach nur weiter und schritt durch den Raum, als sähe sie ihn zum erstenmal.
Es war für mich noch immer nicht zu begreifen. Hier lauerten Kräfte, von denen wir nicht einmal eine Ahnung hatten. Sie hatten es sogar geschafft, mein Kreuz abzustoßen.
Ich kam wieder auf die Füße. Super fühlte ich mich nicht. Sogar etwas zittrig, und ich bemerkte, daß Glenda Perkins den Kopf drehte und mich anschaute.
Ich zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
»Dann weißt du auch nicht, was es gewesen ist?«
»Nein.«
Sie deutete auf das Kleid. »Jetzt ist alles wieder normal.« Sie mußte einfach lachen und schlug die Hände vors Gesicht. »Was ist hier nur geschehen, John?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann müssen wir sie fragen.«
Der Vorschlag war gut, doch ich wußte nicht, ob Isabella oder wie immer die Frau auch hieß, schon in der Lage war, eine Frage zu beantworten. Sie lehnte neben der Tür zur Umkleidekabine mit dem Rücken an der Wand und atmete keuchend. Ihre Augen waren verdreht. Ich sah Tränen über ihr Gesicht rinnen. Die Hände zuckten, und auch ihre Schultern bewegten sich.
Sie mußte Schlimmes hinter sich haben. Und sie war aus dem Nichts gekommen. Dabei hatte ich sie durch den Einsatz meines Kreuzes geholt, eine andere Möglichkeit kam für mich nicht in Betracht.
Durch den Einsatz meines Talismans war ein Knoten geplatzt, den eine starke Magie oder Kraft
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