111 - Das Spukschloß
und beugte sich aus dem Fenster.
Der Anblick war so entsetzlich, daß er auf stöhnte.
Hinter dem Sattelschlepper stürmten dämonische Tiermenschen, gierige Fledermäuse und groteske Irrwische her. Tierisches Gebrüll eilte der Horde voran. ihre Augen leuchteten gierig. Schon schwangen sich die ersten auf die Ladefläche. Es war, als hätte die Hölle ihre Tore geöffnet, um die Freunde des Dämonenkillers zu vernichten.
„Weiterfahren!" sagte Coco knapp. „Wenn noch genügend Benzin im Tank ist, haben wir vielleicht eine Chance."
In der letzten Ortschaft hatten sie nachgedankt. Die Menschen waren schweigsam und abweisend gewesen. Fragen hatten sie nicht beantwortet. Jetzt fuhren sie auf der Uferstraße weiter und hofften, noch vor Sonnenuntergang die nächste intakte Brücke zu finden. Die Fähren hatten ihren Dienst eingestellt.
„In einer Stunde wird es dunkel", sagte sie. „Ich habe Angst, daß wir im Freien übernachten müssen. Oder willst du die ganze Zeit über im Wagen bleiben?"
Anita duzte den Reporter. Ihr war, als würde sie den Mann schon eine Ewigkeit kennen. Er gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit, das sie so lange vermißt hatte.
„Uns wird nichts anderes übrigbleiben", erwiderte er lakonisch.
Sie schmiegte sich an seine Schulter, doch sie konnte nicht glücklich sein. Sie hatte Angst vor den Gespenstern. Die Ungeheuer konnten jeden Augenblick wieder auftauchen.
„Dort vorn ist eine Lawine heruntergekommen!"
Steinbrocken lagen auf der Straße. Links ging es zum Donauufer. Dort türmten sich riesige Felsstücke.
„Ob die Leute das Haus rechtzeitig verlassen konnten?" fragte Anita.
Sie deutete auf den Trümmerhaufen.
Woetzold hob die Schultern. „Vermutlich hat es sie im Schlaf erwischt. Erinnerst du dich an die Erdstöße heute früh?"
Anita nickte. Sie sah, wie er geschickt zwischen den Felsbrocken hindurchkurvte. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf.
Ihr Leben hatte sich verändert. Sie würde nie wieder in ihr Dorf zurückkehren. Ihre Angehörigen waren tot. Sie wollte einen Trennungsstrich unter ihre Vergangenheit ziehen. Dennoch, schmiedete sie keine Pläne für die Zukunft; sie wußte nicht, ob sie die nächsten Stunden überleben würden. „Was meinst du?" wandte er sich an sie. „Wollen wir einen Abstecher nach Langenbach machen oder weiterfahren?"
Vor ihnen gabelte sich der Weg. Die Uferstraße machte einen Knick. Rechts stand ein Gasthaus, dem ein Getränkeauslieferungslager angegliedert war. Im ganzen Haus brannte kein Licht. Das Hoftor klapperte im Wind.
„Was ist näher?"
„Langenbach. Das Nest liegt nur fünf Kilometer von hier entfernt. Wenn wir dort nichts finden, können wir ja immer noch umkehren."
Sie stimmte seinem Vorschlag zu, denn sie war müde und fühlte sich elend. Den ganzen Tag über hatte sie kaum einen Bissen gegessen; das machte sich jetzt bemerkbar.
Die Straße nach Langenbach war erst vor kurzem asphaltiert worden. Früher waren hier nur Pferdefuhrwerke und Erntewagen durchgekommen. Der größte Teil der Strecke führte durch den Wald. Uralte Eichen säumten den Weg. Oft hingen die Äste tief herunter.
Der Reporter schaltete das Fernlicht ein. Das dichte Blätterdach hielt das Licht der Abendsonne fern. Es war schummerig wie in einem Höhlengang. Das Unterholz reichte bis dicht an die Straße heran.
Plötzlich trat Woetzold scharf aufs Bremspedal. Keine zwanzig Meter vor ihnen lag ein Baumstamm im Weg. Der Wagen kam erst wenige Meter vor dem Hindernis zum Stehen.
„Verdammter Mist! Das wäre beinahe schief gegangen.
Die Blätter des Baumes waren vertrocknet. Das bedeutete, der Baum lag schon lange auf der Straße. Wären vor ihnen andere Autofahrer hier durchgekommen. hätten sie das Hindernis sicher längst weggeräumt.
Sie stiegen aus. Anita zog fröstelnd die Schultern hoch. Ihr war kalt. Er nickte ihr lächelnd zu.
„Pack mit an, dann wird dir gleich wärmer!"
Weiter hinten sahen sie noch mehr entwurzelte oder umgeknickte Bäume. Es sah so aus, als wäre ein Riese durch den Wald gestampft. Die meisten Bäume lagen am Straßenrand, so daß sie ohne anzuhalten weiterfahren konnten.
„Auf geht's!" rief er ihr aufmunternd zu.
Sie stemmten sich gegen den Stamm. Langsam schoben sie ihn von der Straße. Die trockenen Blätter raschelten. Auf einmal hielt er lauschend inne.
„Sei mal still! Da war doch eben was."
„Ich kann nichts hören."
„Doch", meinte er. „Als ob jemand weint. Warte hier! Ich sehe mal
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