1117 - Herr über Leben und Tod
sich mit seinem Rücken dagegen gelehnt und fragte, ob wir hier noch etwas zu suchen hatten.
»Bestimmt nicht«, erwiderte ich und verließ vor ihm den Raum.
Hinter uns fiel die Tür wieder zu. Mit einem hörbaren Geräusch schnappte sie ins Schloss. Wir waren froh, endlich wieder in der normalen Welt zu sein.
Aber Taskes Schatten war vorhanden, auch wenn wir ihn nicht sahen, und er würde uns auch weiterhin begleiten.
Wir gingen durch den Flur. Ein stilles Haus hatte uns aufgenommen. Wie eine kalte, große Gruft. Draußen empfing uns der Sonnenschein. Aber es war etwas schwüler geworden.
»Wohin zuerst?« fragte ich.
»Doch lieber zu Sarah und Jane.«
»Okay, aber diesmal rufe ich vorher an.«
Suko schaute zu, wie ich die Nummer eintippte. Ich konnte mir selbst nicht erklären, wieso mich ein ungutes Gefühl beschlichen hatte, eigentlich war alles relativ okay.
Es wurde ziemlich spät abgehoben. Es war Jane, die sich meldete und deren Stimme mich erschreckte. Sie hörte sich an, als wären ihr alle Felle davon geschwommen.
»Ja, was…«
»Ich bin es.«
»Mein Gott, John!«
»Rede, was ist passiert?«
»Ihr müsst kommen sofort!« Nach dieser Antwort legte sie auf!
***
Auch wenn das Haus alt war, auch wenn es noch mit einem Treppenhaus ausgestattet war und es keinen Lift gab, fühlte sich Sarah Goldwyn darin sehr wohl. Sie wohnte schon seit vielen Jahren in ihrem Haus. Es war innen aus und umgebaut worden, das hatte die vierfache Witwe auch Jane Collins zu verdanken gehabt, die seit einiger Zeit bei ihr lebte. Sie hatte durch ihre Aktivitäten wieder den nötigen Schwung in das Haus hineingebracht, und trotz des Altersunterschieds passten die beiden Frauen gut zueinander.
Die Horror-Oma war allein zurückgeblieben. Wie so oft, und das machte ihr normalerweise nichts aus. An diesem Tag allerdings fühlte sie sich unwohl. Nicht gesundheitlich, da war alles okay, nein, es war diese Vorahnung, die sie beschlichen hatte.
Etwas Konkretes konnte sie nicht sagen. Es waren eben die unheimlichen Schatten, die drückten und manchmal so schrecklich sein konnten. Wenn sie sich umschaute, sah sie nichts. In der unteren Etage war alles normal. Sie ging von der Küche ins Wohnzimmer, sie schaute aus dem Fenster in den Hinterhof, wo Kinder in der Sonne spielten undeinige Mütter auf den Bänken saßen und ihren Kleinen zuschauten. Das war ein Stück heile Welt. Aber Lady Sarah wusste, wie blitzschnell sie oft zerstört werden konnte.
Ihr Gesicht glich einer Maske, in der sich die Falten so scharf wie von der Rasierklinge eingezeichnet abmalten. Die Lippen waren fest zusammengedrückt. Sarah fand einfach keine Ruhe, um sich hinzusetzen und sich auszuruhen. Der innere Motor lief auf vollen Touren, obwohl es keinen triftigen Grund dafür gab.
In der Küche holte sie Wasser aus dem Schrank und vermischte es mit Apfelsaft. Es war ihr liebster Durstlöscher; ihre Kehle war ziemlich trocken geworden. Nach zwei langen Schlucken stellte sie das Glas zur Seite. Sie überlegte, ob sie sich ein Taxi bestellen sollte, um dort hinzufahren, wo sie auch Jane, John und Suko traf.
Nein, sie drängte den Gedanken wieder zurück. Es war einfach nichtgut, wenn sie sich einmischte. Das hätte sie auch nicht gewollt, wäre es umgekehrt gewesen.
Sie verließ die Küche wieder. Nach zwei Schritten blieb Lady Sarah stehen. So still, dass selbst die Perlen der Ketten nicht mehr gegeneinander klirrten. Selbst ihre Gedanken froren ein, und sie hatte das Gefühl, von einer eisigen Hand gehalten zu werden.
Etwas stimmte nicht mehr in ihrem Haus!
Es gab äußerlich keine Veränderung, doch sie wurde einfach den Eindruck nicht los, Besuch bekommen zu haben. Keinen normalen.
Etwas Fremdes war eingedrungen.
Lady Sarah blieb still. Selbst das Atmen reduzierte sie. Sie stand günstig, denn mit einer leichten Drehung des Kopfes konnte sie auchüber die Treppe nach oben schauen. Leere Stufen.
Keine Geräusche im Haus, die sie hätten beunruhigen müssen, und trotzdem war alles so anders geworden. Etwas Fremdes lauerte in der Nähe. Lady Sarah war keine ängstliche Frau. Wer so alt geworden war wie sie, den konnte so leicht nichts erschüttern. In diesem Fall allerdings hätte sie sich gern Jane Collins an die Seite gewünscht. Das war eine Gefahr, die sich nicht erst groß zu nähern brauchte. Sie war schon da.
Dann hörte sie das Klopfen!
Es war ein Geräusch, das sie zusammenfahren ließ. Auch weiterhin blieb sie auf der Stelle stehen.
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