1117 - Herr über Leben und Tod
Shao.
»Im Prinzip schon.« Ich hatte langsam gesprochen und drehte jetzt die kalte Bierdose zwischen meinen Handflächen. »Wenn da nicht noch etwas anderes wäre. Er hat mich, das muss ich zugeben, recht gut analysiert. Er muss gespürt haben, dass ich durch mein Kreuz schon ein besonderer Mensch bin, obwohl ich das nicht so sehe. Ist egal. Jedenfalls warnte er mich davor, ihm auf den Fersen zu bleiben. Er ahnte schon, dass sein Fall für uns nicht abgeschlossen ist. Deshalb hat er die Initiative übernommen. Wenn ich mich nicht an seinen Rat halte, könnt ihr euch denken, was dann passieren wird.«
»Er will dich töten!«
»Ja, Shao.«
Die Chinesin schüttelte den Kopf. »Das gibt es doch nicht«, sagte sie. »Quatsch, Unsinn. Warum sollte er dich töten, wenn du ihm nichts getan hast?«
Ich zuckte die Achseln.
»Oder er steht auf der anderen Seite«, sagte Suko.
»Das wird es wohl sein. Veritas ist einer von unseren besonderen Freunden. Mensch, Dämon, nur ein Helfer, wie auch immer. Ich weiß es nicht. Er hat es deutlich gespürt, obwohl er mir und euch auch nicht koscher gewesen ist.«
»Das stimmt allerdings«, gab Suko zu.
»Dann hat er Angst davor, dass ihr sein Geheimnis lüften könntet«, meinte Shao.
»Könnte auch sein.«
»Und weiter? Wirst du seinen Rat befolgen?«
Ich lächelte ihr zu. »Würdest du es so halten?«
»Nein, aber ich spreche für dich und für Suko gleich mit. Ich kenne euch doch.«
»Eben.«
»Da kann euch ein Gegner erwachsen sein, mit dem ihr noch schwer Ärger bekommen könnt. Jedenfalls müsst ihr darauf gefasst sein, dass er euch auf den Fersen bleibt, euch immer beobachtet, ohne dass ihr ihn selbst sehen könnte. Ich würde jedenfalls mehr als vorsichtig sein, wenn ihr euch weiter bemüht.«
»Das steht außer Frage«, sagte ich. »Und ich weiß auch, dass es Schwachpunkte bei uns gibt.« Näher ging ich darauf nicht ein und hörte Suko Frage.
»Wo fangen wir an?«
»Bitte?«
»John, er ist wie ein Phantom. Wir haben keinen Anhaltspunkt, wo wir einhaken können. Er ist nicht zu fassen. Er zieht sich zurück. Er kommt immer nur dann, wenn er es für richtig hält und arbeitet sogar mit den Kollegen zusammen, die sich das natürlich gefallen lassen, um Erfolge zu erzielen.« Suko lehnte sich etwas zurück. »Also wie und wo sollen wir anfangen?«
»Bei seinem Namen«, sagte Shao.
»Nein, keine Chance.«
»Warum nicht?«
»Er ist falsch. Du findest ihn in keiner Kartei. Da bin ich mir sicher.«
Sie lächelte wie jemand, der eine Lösung hat, damit aber noch hinter dem Berg hält. »Und wenn ich es auf meine Art und Weise versuche?« fragte sie.
»Was meinst du damit?«
»Über das Internet.«
Ich nickte. »Nicht schlecht, aber ob die Chancen da besser stehen? Ich weiß nicht.«
»Wieso, ich kann es probieren.«
»Dann mal los.«
Trotz der späten oder frühen Stunde war keiner von uns müde.
Wir wirkten wie angetörnt. Shao und Suko standen auf. Die Chinesin nahm vor dem Computer Platz, strich ihr Haar zurück und schaute zur Seite, als Suko sich neben sie setzte.
Sie schaltete den Apparat ein. Der Rest war Routine. Surfen im Internet beherrschte sie, und sie hatte uns dank ihres Könnens schon so manchen Tipp gegeben.
Ich blieb am Tisch sitzen und trank mein Bier. Dieser Veritas war raffiniert. Er war auch jemand, der auf seine innere Stimme oder auf irgendwelche Gefühle hörte. Durch sie hatte er die Botschaft erhalten, dass ich nicht eben zu seinen Freunden zählte. Er wusste, dass wir auf verschiedenen Seiten standen. Ich konnte mir auch vorstellen, dass jemand wie er über mich und meine Freunde bereits Bescheid wusste. Einer wie er sicherte sich ab.
Ich fragte mich nur, woher er die Informationen bekam, die den Kollegen so weiterhalfen. Das war schon mehr als Insiderwissen.
Möglicherweise schlug er Brücken, die wir überhaupt nicht kannten und die auf anderen Ebenen lagen.
Suko erklärte mir, was Shao vorhatte. Sie sollte es zunächst unter Wahrsager versuchen.
»Da wirst du viele Namen erhalten, die ihre Dienste im Internet anbieten.«
»Kann ja sein, dass er dabei ist.«
»Glaube ich nicht. Einer wie der hat das nicht nötig. In meinem Kopf macht sich bereits ein anderer Gedanke breit.«
»Welcher denn?«
»Es kann sein, dass dieser Silvio Haric die entsprechende Spur zum Ziel ist.«
»Wie kommst du darauf?« fragte Suko. »Kann ich dir nicht genau sagen. Er muss meiner Ansicht nach Kontakt mit ihm aufgenommen haben. Auf welche
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