1118 - Zwischen Himmel und Hölle
kühler als draußen. Im Prinzip angenehm, doch nun hatte Jane den Eindruck, dass ihr die Kälte des Todes entgegenströmte. Ihr Körper wurde von einer Gänsehaut überzogen.
Sarah zeigte sich nicht. Sie hockte irgendwo, und es war fraglich, ob sie den Flur unter Kontrolle hielt oder nicht.
Der nächste Blick. Diesmal länger.
Nichts hatte sich verändert. Die Tür zum unteren Wohnzimmer stand halb offen. Das war auch schon zuvor der Fall gewesen.
Jane betrat den Flur. Eine Waffe besaß sie nicht. Irgendwie kam sie sich nackt vor, und wieder wurde ihr die Situation vor Augen gehalten, die für sie so wahnsinnig absurd war. Sie konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass genau die Person, der sie immer so zugetangewesen war, sie töten wollte.
Es war still im Haus. Mit keinem Geräusch gab Lady Sarah zu erkennen, wo sie sich aufhielt. Sie hätte auch durchaus nach oben laufen können, wo sich Janes kleine Wohnung befand. Die Zeit dafür hätte sie gehabt. Jane war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, als dass sie darauf geachtet hätte.
Sie ging nach links. Am Ende des Flurs lag das Wohnzimmer. Eine kleine Toilette war hier ebenfalls vorhanden. Lady Sarah schlief in der ersten Etage. Dort verteilten sich drei Räume. Zwei davon benutzte Jane. Zwei Badezimmer gehörten ebenfalls dazu.
Noch vor der Wohnzimmertür führte die Treppe nach oben. Holzstiegen, auf denen ein Teppich lag und die Trittgeräusche dämpfte.
Lady Sarah hätte leise nach oben gehen können. Möglicherweise saß sie wie ein grinsender Teufel auf der Treppe und lauerte darauf, dass sich Jane an deren Beginn zeigte, um sie dann mit einem gezielten Schuss erwischen zu können. Deshalb wurde sie noch vorsichtiger, als sie um die Ecke lugte und zur Treppe hoch spähte.
Da saß niemand. Jede Stufe war leer, auch am Ende zeichnete sich keine Gestalt ab.
Im Wohnzimmer?
Sie behielt die offen stehende Tür im Auge. Für einen Moment kehrte das Bild des Hellsehers zurück. Sie sah sich wieder mit ihm zusammen und auch in einer anderen Welt. Er hatte sie in eine andere Dimension entführt. Sie erinnerte sich an den rötlichen Himmel, aus dem starre, weiße Fäden nach unten hingen, die so wirkten, als hätten sie Risse im Himmel hinterlassen.
Und sie erinnerte sich an die Gestalt des Hellsehers. Groß, wuchtig, bekleidet mit einem ebenfalls rötlichen Gewand, das unter dem Hals nicht geschlossen war, so dass sie einen Teil seiner Brust hatte sehen können.
Wie John Sinclair, so trug auch der Hellseher ein Amulett. Es war anders. Kein Kreuz. Dafür ein Drudenstern, ein Fünfeck, ein heidnisches Zeichen und seine Kraftquelle.
Er hatte auch versucht, Jane zu manipulieren, doch da war er an Grenzen gestoßen. Ihm war vieles bekannt gewesen, nur nicht, dass in Jane noch leichte Hexenkräfte vorhanden waren. Diese Erkenntnis hatte den Hellseher aus dem Tritt gebracht. So war Jane Collins dann das Schicksal der Lady Sarah erspart geblieben.
Dicht vor der Tür blieb sie stehen. Sie wollte sie auch nicht ganz aufziehen, der erste Blick durch den recht breiten Spalt reichte ihr aus.
Das Wohnzimmer war menschenleer. Zumindest sah sie auf den ersten Blick nicht, dass sich jemand dort versteckt hielt. Deckung gab esgenug. Lady Sarah konnte hinter einem Sessel lauern, auf die Tür zielen und nur warten, dass sich dort jemand zeigte. Janes erster Blick war vorsichtig gewesen, der zweite nicht so sehr, und beim dritten Mal schob sie die Tür weiter auf, wobei sie selbst noch in relativ sicherer Deckung blieb.
Es fiel kein Schuss. Sie sah die Horror-Oma auch nicht und wartete einige Sekunden ab, bis ihr das Gefühl sagte, dass sich Sarah hier nicht aufhielt.
Über ihre Lippen huschte ein Lächeln der Erleichterung. Draußen schlug eine Wagentür zu. Waren John und Suko eingetroffen?
Mit wenigen Schritten hatte Jane die Tür erreicht und zog sie auf.
Ja, sie waren es, und Jane Collins polterte ein gewaltiger Stein vom Herzen…
***
Wir waren die kurze Strecke zwar nicht geflogen, aber viel hatte wirklich nicht gefehlt. Jane steckte in Schwierigkeiten. Nicht nur sie.
Auch mit Lady Sarah musste etwas passiert sein. Wir wussten nicht, was vorgefallen war, doch als ich Jane Collins jetzt in der offenen Tür stehen sah, da schlug mein Herz schon schneller, und der Schock jagte mir wie ein Faustschlag in den Magen.
Sie blutete oder hatte geblutet. Die linke Hals und Schulterseite war verletzt. Auch Suko war entsetzt. »Wie ist denn das passiert?«
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