112 - Monster im Prater
Kaffee, nicht wahr?“
„Nun, wenn
Sie mich so fragen, Mister Brent...“
„Ich weiß es.
Weil es mir genauso geht. Ich schlage Ihnen vor, das Auto stehen zu lassen und
mit uns einen kleinen Spaziergang durch das erwachende Wien zu machen. Bis zur
Kärntnerstraße ist’s ein Katzensprung. Dort liegt auch schon unser Hotel. Das
altehrwürdige Ambassador. Wir werden gemeinsam fürstlich frühstücken und dann
weitersehen. Sie, Ferling, dürfen dann gern ohne uns ins Ministerium
zurückfahren. Ich werde dem Staatssekretär alles Notwendige mitteilen.“
Man sah dem
Chauffeur an, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel. „Das ist sehr nett von Ihnen,
Mister Brent. Ich muss Ihnen etwas gestehen ...“ „Und das wäre?“
„Ich wüsste
nicht so recht, wie ich ihm die lange Wartezeit erklären könnte, Mister Brent.“
X-RAY-3
seufzte. „Um ehrlich zu sein: ich weiß es auch noch nicht...“
●
Als Andreas Wibbert die Augen aufschlug, blinzelte er in Helligkeit.
Die Sonne schien durchs Fenster und die fadenscheinigen Vorhänge. In dem alten
Haus, in dem Meixner für ein paar Schillinge monatlich schlief, gab’s weder ein
Rollo vor dem Fenster noch Übergardinen. Thomas Meixner! Wibbert kniff die
Augen zusammen. Ihm brummte der Schädel, und es fiel
ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie war er hierher gekommen? Was
war letzte Nacht passiert? Der Mann, den er erst gestern kennen lernte und der
ihm sogar die Schlüssel zu seiner Bude überlassen hatte, um hier zu
übernachten, war aber nicht da. Der Einbruch in den Wohnwagen... Meixner war
von der fixen Idee besessen, dass es dort einiges zu holen gab. Nach und nach
fiel dem kränklich aussehenden Mann, der zur Zigarette griff und gierig
rauchte, noch ehe er die Beine über die Bettkante gebracht hatte, alles wieder
ein. Wibbert sah die Flaschenbatterie auf dem Tisch und dem Kühlschrank, die er
durch die offene Tür der Schlafkammer deutlich wahrnehmen konnte. Nun wusste er
auch, woher Brummschädel, schlechte Laune und das Verlangen, etwas zu trinken,
kamen. Er hatte gestern Nacht nach seiner Rückkehr noch mal zugeschlagen
...
Mehrere leere
Bierdosen, eine halbe Flasche Apfelschnaps und drei leere Flachmänner redeten
ihre eigene Sprache. Er hatte aus Angst, Verzweiflung und Ratlosigkeit
getrunken. Wacklig auf den Beinen taumelte er durch den kleinen Raum in die
Küche. Er hatte Durst und öffnete eine Bierdose, die ihm vergangene Nacht
offensichtlich aus den Augen geraten war. Er trank sie auf Anhieb leer. Dann
schlurfte er wie ein alter Mann ins Bad und hielt den Kopf unters kalte Wasser.
Eine volle Minute unterzog er sich dieser Prozedur. Dann ging es ihm besser. Er
konnte klarer denken, und seine Lebensgeister erwachten. Mürrisch betrachtete
er sich im Spiegel. Thomas Meixners ungeklärtes Schicksal ging ihm nicht aus
dem Kopf. Unablässig musste er daran denken, während er sich schnell wusch und
dann rasierte. Frische Kleider hatte er nicht. Aus dem Rucksack, der seine
Haupthabe war, nahm er neue Unterwäsche. Die schmutzige stopfte er in eine
Plastiktüte und gab sie bei der nächsten Wäscherei ab. Ohne zu frühstücken,
verließ er die ungepflegte Wohnung, die Meixner hauptsächlich als Schlafstätte
diente. Tagsüber hielt sich hier praktisch niemand auf.
Außer einer
alten Frau, die zwei Stockwerke tiefer wohnte und ihre Einsamkeit mit einem Hund
und zwei Katzen teilte, lebte niemand mehr hier im Haus.
Es war halb
zwölf. Die Sonne stand hoch am Himmel, die Temperatur war angenehm. Nach dem
Besuch der Wäscherei begab sich Wibbert ins nächste Kaffeehaus, trank einen
Braunen, aß zwei trockene Hörnchen und ging dann zur nächsten
U-Bahn-Haltestelle. Bevor er die Treppe nach unten lief, kaufte er sich an
einem Kiosk den Kurier und überflog die Schlagzeilen. Er suchte etwas
Bestimmtes, eine Nachricht, die mit dem Prater und einem eventuellen
Leichenfund zu tun hatte ...
Aber nichts
dergleichen stand in dem Blatt. Dennoch wurde Andreas Wibbert die quälenden
Gedanken nicht los, dass seinem neuen Freund etwas Schreckliches zugestoßen
war. Hatte der Ungar Perkush ihn ermordet? Hatte er den Eindringling
überrascht? Zumindest das Letztere war sicher. Es war kaum anzunehmen, dass
Meixner die Nacht freiwillig im Prater verbracht hatte. Wibbert wollte sich,
falls es ihm möglich war, Gewissheit verschaffen. Wenn Istvan Perkush ein
Mörder war, würde er der Polizei einen entsprechenden anonymen Tipp geben. Dazu
brauchte er nicht
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