112 - Monster im Prater
Ärmeln und tiefem Ausschnitt.
Auf der behaarten Brust lag ein gut zehn Zentimeter großes, massivgoldenes
Kreuz. Es glänzte in der Sonne. Auffallend waren auch der große Ring, den
Perkush trug, und die Uhr, und er musste Meixner im Stillen recht geben. Diese
Dinge hatten - wenn sie echt waren - einiges gekostet.
„Er ist
bestimmt schon sehr alt.“ Andreas Wibbert klammerte sich an das Spiel, das er
mit seiner Ausrede begonnen hatte, um unverdächtig zu bleiben und Perkushs
Misstrauen nicht unnötig zu erregen. „Als Junge fand ich es immer so aufregend,
die Leute zu beobachten, die in Wohnwagen von Ort zu Ort reisten. Heute in
unserer mobilen Gesellschaft, wo fast jeder zweite einen Caravan oder
Campingwagen besitzt, ist das ja nichts mehr Außergewöhnliches. Aber etwas
Besonderes ist es immer noch, in einem solchen Gefährt zu reisen.“
„Richtig“,
bestätigte Perkush. „Der Wagen hat übrigens seine zwei Jahrhunderte auf dem
Buckel ... Mein Urgroßvater ist schon mit ihm gefahren. Der Wagen ist eng und
unbequem, und ich habe nur wenig darin geändert. Ich hätte mir längst einen
dieser modernen Wagen mit allen Schikanen kaufen können. Aber ich kann mich von
dem nostalgischen Gefährt nicht trennen.“ Er hielt eine Plastiktüte in der
Hand, die er dann hochhob. „Ich habe mir frisches Backwerk und ein paar heiße
Würstchen da vom am Stand geholt... Würstchen, die kalt sind, schmecken nicht
mehr gut. Ich muss jetzt zu Mittag essen, nachher geht’s wieder rund. Dann
bleibt keine Zeit, um was zu verzehren. Ich mach Ihnen eine Vorschlag ...
Kommen Sie herein, essen Sie mit mir, und ich erzähle Ihnen, was Sie wissen
wollen. Zu zweit am Tisch ist es erstens schöner und dann freut es mich, dass
es noch Menschen gibt, die sich für alte Dinge interessieren.“ ln der ersten
Regung wollte Wibbert ablehnen. Das konnte eine Falle sein. Vielleicht hatte
Perkush ihn doch erkannt. Doch dann fand er seine Gedanken absurd. Es war zu
dunkel gewesen. Was er angefangen hatte, musste er nun weiterfuhren. „Gern,
Herr Perkush sagte Andreas Wibbert erfreut. „Ich habe sowieso nichts vor.“
„Sind Sie -
arbeitslos?“
„Ja, schon
seit Monaten. Ich lebe von der Hand in den Mund, habe mal hier, mal da eine
Gelegenheitsarbeit.“
„Mhm“,
knurrte Perkush mit seiner Bassstimme, während er die drei Stufen hochging, die
in seine rollende Behausung führten. „Dann wäre das hier ja was für Sie.“
„Wie meinen
Sie das?“ Wibbert hatte beide Hände in den Hosentaschen vergraben und folgte
dem Ungarn. An dem aufklappbaren Tisch nahmen sie Platz. Direkt daneben war die
schmale Fensterbank. Daraufstand ein Glas mit einem Laubfrosch. „Ich könnte
einen Reisebegleiter gebrauchen“, reagierte Perkush sofort. „Ich zahle gut.
Kommt natürlich darauf an, ob Sie ortsgebunden sind.“
„Nein, ich
bin frei wie ein Vogel“, fiel Wibbert dem anderen ins Wort. Er reagierte wie
aus der Pistole geschossen, er musste die Gelegenheit nutzen. Vielleicht gelang
es ihm, Perkushs Vertrauen zu gewinnen. Etwas Besseres konnte ihm gar nicht
passieren.
„Um so
besser.“
„Allerdings
kann ich mich nicht sofort entscheiden. Ich müsste mir das erst überlegen.
Unterkunft, Verpflegung und so weiter ... Wie würde das vor sich gehen?“
„In der Ecke
dort hinter dem Vorhang gibt es ein Notbett. Da könnten Sie schlafen ... Wie
heißen Sie eigentlich?“
Andreas
Wibbert nannte seinen Namen.
„Andreas ...
Sagen Sie Istvan zu mir. Ich kenne Sie zwar kaum, aber Sie waren mir auf den
ersten Blick sympathisch.“ Perkush räumte die knisternde Tüte aus. Das Gebäck
duftete verführerisch und war frisch und knusprig. „Genau so mag ich’s“, freute
sich Perkush, schnitt es auf, beschmierte die Innenseiten des Hörnchens mit
Butter und biss dann herzhaft zu. „Wenn sie frisch aus dem Ofen kommen und noch
warm sind, wenn die Butter ins Gebäck sickert...“
Perkush war
Feinschmecker, und Wibbert ertappte sich bei dem Gedanken, dass er sein
Gegenüber immer sympathischer fand. Der Mann gefiel ihm. Er war rau, aber
herzlich, und sein finsteres Aussehen wurde durch das dichte, gewellte Haar
provoziert, vor allem den Schnurrbart. Aber war der nicht nur Maske? War Perkush
in der Tiefe seines Herzens ein empfindsamer und verletzbarer Mensch, der
andere nur von sich abhielt, weil er äußerlich so finster wirkte? Wibbert war
nicht besonders intelligent, aber er hatte für Menschen und bestimmte
Situationen ein natürliches
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