1122 - Der Prophet des Teufels
die Menschen beeinflussen willst. Bei mir ist das nicht möglich, denn ich bin geboren, um die Kreaturen der Hölle zu jagen. Jemand muss da sein, der den Teufel und seine Schergen stoppt. So ist es schon immer gewesen, über die Jahrhunderte hinweg, denn das Symbol des Sieges hat auch jetzt noch Bestand. Ich habe es geerbt, und ich bin wahrscheinlich der letzte Träger, der Sohn des Lichts.«
»Was ist es?«
»Das Kreuz!«
Er warf seinen Kopf zurück und lachte. Für einen Moment sah es so aus, als würde er auf der Schräge abrutschen, doch er fing sich mit einer Gegenbewegung. Sein Lachen gab mir die Zeit, meinen Talisman hervorzuholen, und ich tat es mit der Gewissheit, den Propheten besiegen zu können.
Sein Gelächter verstummte. Er starrte mich wieder an – und sah das Kreuz auf meiner Handfläche liegen.
Bisher hatte ich ihn nie unsicher erlebt. Beim Anblick des Kreuzes aber duckte er sich. Seine Hand mit den Karten bewegte sich auch, und mir tat die Wärme gut, die das Kreuz ausstrahlte. Ich hatte mir vorgenommen, auf ihn zuzugehen, aber er ließ mich keinen Schritt weit kommen.
Aus seinem Mund drang plötzlich ein wilder Fluch hervor, und mit einer raschen Bewegung schleuderte er mir die Karten entgegen.
Die flatterten auf mich zu wie tote Vögel, und ich sah, dass jede Karte das gleiche Motiv zeigte – das Skelett mit der Sense.
Kein Wind trieb die Karten ab. Durch die Wucht des Werfens gerieten sie in den Strahlbereich meines Kreuzes, und plötzlich fing jede Karte Feuer.
Sie waren noch nicht gefallen. Brennend trieben sie durch die Luft.
Sie bildeten zwischen mir und dem Propheten einen zitternden und lückenhaften Feuervorhang, der mir den klaren Blick auf die Gestalt des anderen nahm.
In diesem Augenblick griff Harry Stahl ein, der bisher nur abgewartet hatte. Mit der Hälfte seines Körpers war er aus dem offenen Fenster geklettert. Mit der linken Hand stützte er sich ab, aber er hatte den rechten Arm nach links gedreht und zog den Abzug seiner Waffe zweimal zurück.
Auch Harrys Pistole war mit geweihten Silberkugeln geladen.
Während ich in die Hocke gegangen war, um besseren Halt zu bekommen und der dunkle Rauch der brennenden Karten sich vor mir verteilte, sah ich, dass Harry gut gezielt hatte.
Beide Kugeln hatten den Propheten erwischt. Wie Hammerschläge waren sie in seinen Leib eingeschlagen. Er hatte sich trotz allem auf der Schräge halten können, was für mich einem Phänomen gleichkam, aber seine Beine drehten sich in einen seitlichen Spagat, wobei er langsam nach links kippte und sich nicht mehr würde halten können.
Es zu sehen und zu handeln war eins. Was Harry Stahl tat, interessierte mich nicht, weil ich einfach an den Propheten heran wollte.
Ich war schnell, aber ich passte auch auf und bewegte mich auf Händen und Füßen auf ihn zu. Trotzdem wäre er mir entwischt und über die Dachkante gefallen. Es war sein Pech oder mein Glück, dass er dieses lange Cape trug, und davon bekam ich einen Zipfel zwischen die Finger meiner rechten Hand.
Ich spürte den Ruck bis in den Oberarm hinein, als der Gegendruck ihn stoppte. Er verlor seinen Hut, der auf der Krempe dem Dachende zurollte und in der Tiefe verschwand.
Durch den plötzlichen Stopp hatte er sich gedreht. Er lag jetzt nicht mehr mit dem Gesicht zur Dachrinne hingewandt, sondern seitlich, und ich hielt ihn eisern fest, wobei es mir nur gelang, weil mich Harry unterstützte. Er hatte sich so weit wie möglich aus dem offenen Fenster gelehnt, seinen rechten Arm ausgestreckt, so dass er mein Gelenk umklammern konnte.
»Bist du okay, John?«
»Im Moment geht’s.«
»Dann versuche ich zu ziehen.«
»Gut.«
Die noch freie Hand hatte er als Stütze um die Holzkante des Fensters gedrückt. Dieser Halt reichte ihm aus. Er schaffte es, mich festzuhalten, und so konnte ich den Körper des Propheten immer mehr in meine Nähe ziehen.
Die Karten waren allesamt verbrannt. Sie würden keinem Menschen mehr ein schreckliches Schicksal versprechen, das stand fest, aber esgab noch ihn. Ob er tatsächlich durch die beiden geweihten Silberkugeln vernichtet war, würde sich noch herausstellen.
Es war für Harry und mich nicht einfach, die Gestalt zu uns heranzuziehen. Bei einer ebenen Fläche wäre dies wohl kein Problem gewesen, aber auf dieser Schräge sah es schon anders aus. Da brauchten wir beide wesentlich mehr Kraft.
Meine Muskeln hatten sich verkrampft, und ich spürte das Ziehen im Arm. Ich machte trotzdem weiter.
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