1129 - Das Blutmesser
mich damals verliebt hatte, die mir dann aber genommen worden war und sich letztendlich auch als Verräterin entpuppt hatte.
Die Trittfolge veränderte sich. Ich drehte mich um und schaute in Michelles Gesicht, das etwas gerötet war, aber ein breites Lächeln zeigte.
»Wie ich sehe, haben Sie sich schon umgeschaut, John.«
»In der Tat.«
»Und? Was sagen Sie?«
»Toll. Wirklich toll.«
»Ach, das sagen Sie doch nur.«
»Nein, Michelle, wirklich nicht. Ich meine es ehrlich. Ich habe mir Ihre Werke angeschaut und finde sie toll. Diese Stimmungen zu treffen, ist bestimmt nicht einfach.«
»O danke.« Sie errötete sogar leicht. »Ich sehe es einem Menschen an, wenn er es ehrlich meint, und das ist bei Ihnen der Fall, John.«
»Warum hätte ich lügen sollen?«
»Das machen manche.« Erst jetzt betrachtete ich Michelle. Sie hatte sich umgezogen, und zwar so, daß sie sich wohl fühlte. Nein, wie eine Malerin bei der Arbeit sah sie nicht aus.
Michelle trug keinen mit Klecksen übersäten Kittel, auch keine fleckigen Jeans oder ein buntes T-Shirt. Sie hatte sich für ein brombeerfarbenes Kleid entschlossen, dessen Farbe in dieser Herbst-Saison angesagt war.
Das wußte ich von Glenda, weil sie sich ebenfalls eine Hose mit ausgestellten Beinen in dieser Farbe gekauft hatte. Das Kleid war aus einem weichen, nicht zu dünnen Stoff gefertigt, der Michelles Figur eng umschmeichelte, so daß ihre Proportionen deutlich zum Vorschein kamen. Das Kleid ließ sich knöpfen, aber sie hatte nicht alle der recht großen und schwarzen Knöpfe geschlossen. Die beiden oberen standen offen, so fiel der Kragen des Kleids zu den Seiten hinweg wie ein Schal und ließ ein breites Dreieck als Ausschnitt zurück.
Es war auch zu sehen, daß sie darunter höchstens einen Slip trug, denn ein BH malte sich nicht ab. Dafür aber drückten die beiden Brustspitzen gegen den Stoff.
»Sie sehen toll aus, Michelle.«
»Nicht ganz wie eine Malerin, wie?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
»Ich bin auch außer Dienst. Wenn Sie wollen, können Sie sich setzen.«
Sie deutete auf die gegenüberliegende Seite des Ateliers. Dort stand eine hellgraue Cordcouch als Zweisitzer vor einem viereckigen Tisch aus Glas. Dahinter hatte sie einen gelben und einen himmelblauen Sessel gestellt.
»Sie nicht?«
»Nein, ich mache uns etwas zu essen. Ich koche auch einen Kaffee und werde einige Baguettes aufwärmen.« Sie blitzte mich an. »Sogar Champagner steht kalt.«
»Erst einmal abwarten«, sagte ich und deutete dann auf die Bilder.
Michelle verstand die Geste falsch. »Wir können gleich darüber reden, ich möchte nur erst die Baguettes aufwärmen.«
»Ich möchte auch nicht groß darüber diskutieren, Michelle, nur etwas wundert mich.«
»Was denn?« Vielleicht hatte ich den falschen Ton getroffen, jedenfalls sah sie mich etwas mißtrauisch an.
»Nichts von Bedeutung, denke ich. Aber es ist mir im Moment wichtig.«
»Dann raus damit.«
»Sie haben mir doch von den Kuttenträgern erzählt, die Sie in Ihrem Zustand sahen.«
»Wie könnte ich das vergessen.«
»Bleibt es dabei, daß Sie sich vor ihnen fürchten?«
Michelle sagte zunächst nichts. Ich glaubte auch nicht, daß ihre Überraschung gespielt war. »Ja, John, ich fürchte mich davor. Es ist schlimm gewesen, glauben Sie mir. Aber was soll die Frage? Ich muß mich schon wundern.«
»Darf ich Ihnen etwas zeigen?«
»Gern.«
Gemeinsam gingen wir auf das Venedig-Bild zu, da es mir am nächsten stand. Da es sehr groß war, brauchten wir uns nicht tief zu bücken, um das Motiv in den Einzelheiten betrachten zu können. »Schauen Sie genau hin, Michelle. Achten Sie dabei nicht auf den Gondoliere und seine beiden Fahrgäste. Es gibt noch eine vierte Person auf dem Bild. Meine ich zumindest.«
Ich hatte genug gesagt und ließ die Künstlerin in Ruhe. Sie hatte sich gebückt und die beiden Seiten des Ausschnitts unter ihrem Hals zusammegerafft.
Zunächst sagte sie nichts. Dann überkam sie ein Zittern, und schließlich richtete sie sich auf. Ihr Gesicht hatte die gesunde Farbe verloren, und die Augen waren groß geworden. Ich fragte mich, ob sie auch eine gute Schauspielerin war.
»Haben Sie die Gestalt gesehen?«
Michelle schaute zur Seite auf den Boden. »Ja«, gab sie flüsternd zu, »das habe ich.«
»Und Sie wissen, wer das ist?«
»Sicher, John. Wie hätte ich das vergessen können. Ich weiß sehr gut Bescheid.«
»Dann brauchen Sie doch keine Angst vor diesen ungewöhnlichen
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