1129 - Das Blutmesser
gegangen und haben sicherlich etwas anderes vorgehabt, als mit einer übergeschnappten Künstlerin zu reden, die sich irgend etwas einbildet…«
»Das sehe ich nicht so, Michelle. Sonst hätte ich Ihnen das Angebot nicht gemacht. Es ist ernst gemeint, sehr ernst. Es interessiert mich, was Sie erlebt haben.«
»Warum?«
»Sagen wir so, Michelle. Ich bin jemand, der gern hinter die Dinge schaut. Ich glaube nicht nur an das, was ich sehe, sondern auch an die Dinge, die sich im Unsichtbaren versteckt halten.«
»Das ist gut.«
»Und noch viel interessanter wird es, wenn das Unsichtbare seinen Bereich plötzlich verläßt und dabei eine Grenze überschreitet, die für Menschen normalerweise dicht ist. Dann wird es interessant.«
»Das sagen Sie so«, flüsterte Michelle. »Glauben Sie nicht, daß dieses andere Sie auch überrollen könnte? Sie haben selbst erzählt, wie gefährlich die Dinge sind…«
»Wenn man sich nicht darauf einstellt.«
»So ja, das stimmt.« Sie schüttelte den Kopf und lachte dabei. »Ich sage das so, obwohl ich Ihre Antwort nicht begriffen habe.« Jetzt änderte sich ihr Blick, und sie forschte in meinem Gesicht. »Ich will Ihnen nichts Böses, aber irgendwie werde ich aus Ihnen, nicht so recht schlau, John.«
»Soll ich das positiv oder negativ sehen?«
»Na ja, mehr positiv. Ich habe mir angewöhnt, auf die Augen eines Menschen zu achten.«
»Und meine finden Sie in Ordnung?«
»Ja, John, das finde ich. Ihre Augen sind okay. Sie sind nicht falsch. Ich glaube nicht an irgendwelche Hintergedanken, mit denen Sie sich beschäftigen. Sie meinen es ehrlich, und aus diesem Grund vertraue ich Ihnen.«
»Danke, das finde ich toll.«
Noch war sie nicht davon überzeugt, daß ich auch mit ihr gehen wollte.
»Und Sie haben wirklich Zeit genug? Ich störe Sie nicht und bin auch…«
»Wenn ich es Ihnen sagen, Michelle. Ich bin gespannt auf die Rätsel, die Sie umgeben.«
»Hm. Was sind Sie nur für ein seltsamer Mensch. Aber nicht unsympathisch.«
»Danke.«
Sie wollte dem Kellner winken, um zu zahlen, doch das übernahm ich.
»Lassen Sie mal, der eine Schreck reicht.«
»Aber ich habe schon zuvor etwas getrunken. Oder habe ich das bezahlt?« Sie schlug sich gegen die Stirn. »Ich… ich … weiß es wirklich nicht mehr.«
Es spielte zudem keine Rolle. Ich wollte nur noch wissen, wo Michelle wohnte.
»Allein, John, und das meine ich jetzt doppelsinnig. Ich wohne allein in einem Haus, in dem ich lebe und auch arbeite. Es liegt etwas außerhalb der Stadt.«
»Macht nichts, ich liebe das Grüne.«
Michelle Maron schaute mich skeptisch an wie jemand, der nicht weiß, ob er die Antwort ernst nehmen soll oder nicht…
***
Michelle Maron fuhr einen nagelneuen, silbergrauen, viersitzigen Jaguar, den sie in einer Tiefgarage abgestellt hatte, die sehr hell erleuchtet war.
Sie stand dort, wo nur Frauen ihre Fahrzeuge abstellten, und ich konnte ein anerkennendes Nicken nicht verkneifen. »Na, das ist schon was.«
»Ich will mich nicht dafür entschuldigen, aber ich lebe allein und bin in meinem Beruf auch erfolgreich. Hinzu kommen die Bilder, die ich verkaufe. Meine Eltern, die in Nordfrankreich leben, haben mir schon einen Teil meiner Erbschaft ausgezahlt, damit ich hier mein eigenes Leben führen kann.«
»Das lobe ich mir.«
»Ist alles halb so schlimm. In den Schoß ist mir wirklich nichts gefallen.«
Wir verließen London in südliche Richtung. Michelle wohnte noch im Großraum London, wie es so schön heißt, und dazu zählt selbst Windsor Castle im Westen.
Wimbledon ließen wir ebenfalls hinter uns und fuhren auf New Maiden zu, einen kleinen Ort im Grünen, in dem allerdings der Stallgeruch der Großstadt noch zu spüren war, denn wer hier lebte, der arbeitete oft in der Metropole. Es gab auch Zug-und Busverbindungen, wie mir Michelle erklärte, die so tat, als müßte sie die Fremdenführerin spielen. Ich ließ sie reden, denn das lenkte sie von ihren trüben Gedanken ab.
In New Maiden war es nicht eng. Wer hier wohnte, der konnte sich noch ausbreiten, und genau das hatte die Malerin getan. Ihr Haus stand nicht mit anderen zusammen, sondern einzeln und auch nicht direkt an einer Straße.
Wir mußten von der normalen Fahrbahn abbiegen und rollten über einen schmalen Weg in ein freies Feld hinein, wie es auf den ersten Blick aussah. An der linken Seite wuchs eine struppige Hecke, die mir den Blick nahm.
»Was liegt dahinter?« fragte ich.
»Eine Wiese.«
»Und?«
»Sie
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