1130 - Aufstand im Vier-Sonnen-Reich
worden.
Von „oben" sah man auf zerzauste Wolkenbänke; weiße Flecken über dem Grün des Planeten Vrugg.
Ein heller Punkt schob sich in den Aufnahmebereich der Kamera. Der Punkt wurde größer und entpuppte sich als rötliche, kugelförmige Energiesphäre. Hinter dem Flimmern des Kraftfelds bewegte sich ein Schatten.
Der Bote!
Erregung erfaßte nun auch Harbelon; er bemerkte nicht die Besorgnis des Chefmediziners, dessen Blicke zwischen der Holoprojektion und den Anzeigen der Überlebenswanne hin und her huschten.
Die Energiesphäre sank rasch.
Bald hatte sie die Wolkenbank durchbrochen und näherte sich zügig dem Häusermeer von Jays.
Erneut ein Kamerawechsel. Ein Bild aus dem Blickwinkel einer Bodenstation.
Am Himmel über Jays schwebte die rote Energiesphäre.
Doch nun begann sie zu pulsieren. In einem Rhythmus von zehn Sekunden dehnte sie sich auf das Zehnfache ihrer Größe aus und fiel dann wieder in sich zusammen. Und ein anderes Phänomen gesellte sich hinzu.
Lichtblitze breiteten sich wie die Zacken eines stilisierten Sterns von der Sphäre aus. Grüne, blaue und rote Strahlen, die so hell waren, daß Kurboschs Licht dagegen verblaßte.
Eine neue Sonne schien am Firmament aufgegangen zu sein.
Es war ein überwältigender Anblick, und Harbelon konnte sich seiner Faszination nicht entziehen.
Plötzlich durchfuhr ihn ein seltsamer Gedanke. Mummenschanz. Ein billiges Schauspiel für einfache Gemüter.
Irritiert zuckten seine Faltmäuler.
Die anderen Betreuer schienen von der Echtheit des Boten überzeugt zu sein. Nirgendwo klang ein Wort des Zweifels auf. Aber dieses Blendwerk ... Es war mehr etwas, das Harbelon den Theokraten zugetraut hätte.
Weihrauch, um die Gedanken des Volkes zu vernebeln. Technische Tricks, die einen Hauch von Transzendenz verbreiten sollten.
Ist es möglich, fragte sich Harbelon unvermittelt, daß dieser Bote ein Betrüger ist? Ein Werkzeug der Theokraten, um auf diese Weise unblutig die Macht zu übernehmen? Wollen sie sich Seth-Apophis' Autorität bedienen, um die rationelle Gesellschaft der Betreuer durch - einen Staat zu ersetzen, der auf Mystizismus, religiösem Eiferertum und naiver Gläubigkeit beruht?
Unsinn! sagte sich der Betreuer. Selbst die Theokraten können nicht so verkommen sein, Seth-Apophis' Namen für ihren Machthunger zu mißbrauchen.
Oder doch ...?
Er wollte die Überlegungen verdrängen, aber es gelang ihm nur unvollkommen. Der Zweifel nistete in seinem Herzen, und das Lichterspiel am Himmel sah er nun mit ganz anderen Augen.
Die Sphäre, erkannte er, hatte ihren Kurs geändert. Sie entfernte sich vom Hafen und näherte sich zielsicher dem Regierungssitz.
Bald würde der Bote von Seth-Apophis die Sieben Pyramiden erreichen. Nur noch Minuten, und Harbelon und die anderen Betreuer würden ihn sehen. „Wie mag er aussehen?" hörte er den Chefmediziner geistesabwesend murmeln. „Wie ein Sooldock? Oder ist er ein Fremdwesen? Ein Geschöpf, wie es das Vier-Sonnen-Reich noch nie gesehen hat?"
Dann schwieg er und machte die Stille vollkommen, die in die Große Ratshalle eingekehrt war.
Wie zu Statuen erstarrt warteten die Betreuer auf die Ankunft des Fremden.
Kameras folgten ihm auf seinem Weg.
Die rotfunkelnde Energiesphäre, die seine Gestalt verhüllte, war auf einen Bruchteil ihres ursprünglichen Umfangs geschrumpft. Sie hatte die Peripherie des Regierungssitzes erreicht und schwebte ohne Zögern auf das titanische Haupttor zu; eine stählerne, zweiteilige Pforte in der Wand der äußersten nördlichen Pyramide, zwanzig Meter hoch und fünfzig Meter breit.
Träge öffneten sich die Torflügel.
Andere Kameras belieferten die Holoprojektionen mit Bildern.
Die Wachen in der großen Empfangshalle der Nordpyramide waren zurückgewichen.
Lautlos driftete die Energiesphäre an ihnen vorbei, einen knappen Meter über dem Boden, und verschwand zielsicher in einem der Tunnelgänge, wie sie zu Dutzenden das Pyramidensystem des Regierungssitzes durchzogen.
Schließlich erreichte die Sphäre den streng bewachten Korridor, der als einziger Weg Zugang zur Großen Ratshalle bot. „Öffnen!" sagte Prinar Dolg, der Seth-Apophis-Betreuer, mit vor Erregung pfeifender Stimme.
Die breite Tür der Großen Ratshalle glitt zur Seite.
Helles, rotes Gefunkel fiel in den Saal und tauchte die Betreuer in einen blutigen Schein.
Duurn Harbelon, der heftig atmend in der Überlebenswanne lag, schauderte unwillkürlich, als er sich dieser Analogie bewußt
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