1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
festgeschrieben wurden, und daran dürfen wir einfach nichts ändern. Das muß auch Bruder Aslan einsehen.«
Die anderen blieben wieder stumm. Der Abt war zufrieden. Auch Bruder Blasius hatte sich nicht gemeldet. Er war öfter mit dem Verurteilten zusammen gewesen und hatte angeblich von dessen Verfehlungen nichts gewußt.
Der Abt war sich dessen nicht so sicher. Er hatte Blasius zwar schwören lassen, doch er wollte noch eine Probe aufs Exempel machen.
Die anderen schickte er aus dem Raum, nur Blasius mußte noch bleiben. Erst als der letzte der Mönche die Tür hinter sich geschlossen hatte, winkte der Klostervorsteher den Mönch zu sich heran.
Blasius gehörte zu den Jüngsten im Kreis. Er hatte die Vierzig noch nicht erreicht. Sein Gesicht war noch faltenlos.
»Wir werden gleich gemeinsam zu Bruder Aslan hinuntergehen. Du wirst ihm erklären, daß du dich in den nächsten Jahren um ihn kümmern wirst. Du wirst ihm zu essen und auch zu trinken bringen. Du wirst dabeisein, wenn er seine Notdurft hinausbringt, und du wirst ihm auch das Wasser zum Waschen herbeischaffen. Seine Seele kann leider nicht mehr gereinigt werden.«
»Ich habe verstanden.«
»Dann werden wir ihn besuchen.«
»Wann?«
»Jetzt, Bruder Blasius.« Der Abt streckte dem Jüngeren die Hand entgegen. »Hilf mir hoch, bitte.«
Blasius nickte. Er wußte, daß er gehorchen mußte. Alles lief hier nach genauen Regeln ab. Die Autorität des Abtes war ungebrochen. Er war schon alt geworden und hatte trotzdem alles im Griff. Er schien sogar die Gabe zu besitzen, in die Menschen hineinschauen zu können, wenn er sie mit seinen dunklen Augen und den bohrenden Blicken ansah. Viele hüteten sich deshalb sogar vor eigenen Gedanken.
Der alte Abt nickte zufrieden, als Blasius ihn stützte. Er stand jetzt sehr dicht bei ihm und flüsterte:
»Wir sind allein, Bruder Blasius. Wenn du beichten möchtest, kannst du das jetzt tun.«
»Warum sollte ich beichten?«
Der Mund des Alten verzog sich. Säuerlich riechender Atem strömte Blasius entgegen. »Wenn du über Aslan Bescheid weißt und er dich eingeweiht hat, sag es lieber jetzt, bevor es zu spät ist.«
»Nein, ich weiß nichts. Ich habe auch nichts gewußt.« Er wich den bohrenden Blicken der Augen nicht aus, und der Abt wartete einige Sekunden, bevor er nickte.
»Ich glaube dir. Laß uns jetzt gehen.«
Er war schwach auf den Beinen, das sah auch Blasius und erkundigte sich besorgt, ob sich der alte Mann den Gang über die Treppe tief in das Verlies noch zumuten wollte.
»Ich muß dorthin, verstehst du? Außerdem besitze ich den Schlüssel.«
Blasius stellte keine Fragen mehr. Es gab hier keine Diskussionen. Selbst wenn der Abt nicht in der Nähe war, wagte keiner von ihnen, Kritik zu üben. Hier hatten die Wände Ohren, denn dem Alten wurde alles zugetragen.
Sie mußten nach unten. Es war dunkel. Das Licht der Fackel, die Blasius trug, zeichnete Schatten an die Wände. Es schuf tanzende Figuren, die manchmal schon ein monsterähnliches Aussehen erhielten und wie zuschnappende Mäuler aussahen.
Die Treppe war eng. An der Wand gab es ein rostiges Geländer, an dem sich der Abt festhielt. Er ging sehr langsam. Er keuchte auch in der immer schlechter werdenden Luft, aber er dachte gar nicht daran, aufzugeben. Es mußte geschafft werden. Es war für ihn wie ein Kampf gegen sich selbst, und er mußte den anderen beweisen, daß noch mit ihm zu rechnen war. Dafür war ein Gang in die unterirdische Welt bestens geeignet.
Blasius leuchtete. Der Lichtschein tanzte unruhig. Mal huschte er über die Stufen, mal glitt er an den Wänden entlang. Dann wieder fiel er über die Gesichter der beiden unterschiedlichen Männer und machte aus ihnen regelrechte Fratzen.
Der Abt hatte mit Problemen zu kämpfen, als er die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte. Er stand schwankend da, rang nach Luft und gab dabei keuchende Geräusche von sich. Er mußte sich mit einer Hand an der Wand abstützen. Die Augen standen weit offen, und er sah den jüngeren Mann starr an.
»Fühlst du dich schlecht?« fragte Blasius.
»Hör auf. Ich schaffe es. Ich brauche nur eine kurze Ruhepause. Das ist jetzt passiert. Geh weiter, ich will den Verräter sehen. Ich will ihm ins Gesicht schauen, wenn ich ihn für den Rest seines Lebens verfluche.«
Blasius war zusammengezuckt. Diese harte und gnadenlose Sprache mochte er nicht. Die Regeln dieses Klosters waren restriktiv. Sie gehörten der Vergangenheit an. Sie mußten einfach darin
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