1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
Laute wollten nicht aufhören. Zugleich schlug er ein Kreuzzeichen.
Blasius tat nichts. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Sein Blick fraß sich an der Gestalt des anderen fest, die nichts mehr mit seinem Freund gemein hatte. Die Fackel in seiner rechten Hand zitterte, und dies übertrug sich auch auf den Schein, der als helles und dunkles Muster überall entlanghuschte.
»Aslan…?«
Die Gestalt reagierte. Sie zuckte nur leicht zusammen. Dann sah sie aus, als lauschte sie dem Klang der Stimme nach.
»Bist du es wirklich?«
Er bekam nur eine Antwort von seinem Abt. Für den alten Mann war klar, daß jemand anderer die Kontrolle hier übernommen hatte. Er öffnete zitternd den Mund. Der Schrei wehte durch das Verlies und endete in Worten.
»Der Teufel muß zu ihm gekommen sein, der Teufel…«
Etwas wischte durch die Luft. Glänzend und schnell wie eine Sternschnuppe.
Es war keine.
Es war der blanke Stahl der Sense, der den Abt erwischte und ihn mit einem Streich auf der Stelle tötete. Die Sense wurde wieder zurückgezogen, und die Gestalt mit den Totenaugen holte noch einmal aus. Diesmal zielte sie gegen Blasius.
»Bitte, ich…«
Sein Flehen kam zu spät. Aslan kannte keine Gnade mehr. Er tat das, was er tun mußte und verließ wenig später sein Gefängnis, um als unheimliche Gestalt den Weg nach oben zu suchen. Viel war nicht von ihm zu hören, als er die krummen und hohen Stufen der Treppe nach oben ging. Nur ab und zu ein scharrendes Geräusch, wenn das Metall der Sense über das Gestein kratzte.
Der Teufel hatte sein Versprechen gehalten, und Aslan war ihm dankbar dafür…
***
Es dauerte noch Stunden, bevor den anderen Mönchen überhaupt auffiel, daß zwei von ihnen verschwunden waren. Ausgerechnet der Abt befand sich darunter.
Sie berieten sich in kleiner Runde, dann faßten sie den Entschluß, in den Katakomben nachzuschauen. Niemand ging gern allein in dieses dunkelste Gebiet unterhalb der Klostermauern. Jeder von ihnen hatte das Gefühl, ein Grab zu betreten.
Der Vergleich war nicht einmal so weit hergeholt. Es war auch ein Grab, das sie schließlich sahen.
Aber ein Grab mit offener Tür, und es lagen zwei Tote darin.
Selbst bis hierher hatten Fliegen den Weg gefunden. Angelockt vom Geruch des Blutes, das sich um beide Leichen ausgebreitet hatte. Die Männer lagen auf dem Rücken. In ihren schrecklich entstellten Gesichtern lag noch die letzte Angst, die sie als Lebende empfunden hatten. Durch das Fackellicht sahen die Gesichter aus, als wären sie zu einem unheimlichen Leben ohne Seelen erwacht.
Die Mönche zogen sich zurück. Die Leichen schleppten sie mit hoch und begruben sie in der folgenden Nacht im kleinen Garten des Klosters. Über die Vorgänge selbst sprachen sie nicht. Es war am besten, wenn sie alles vergaßen…
***
Es war kalt - naßkalt. Vielleicht auch klebrig kalt. Jedenfalls fühlte ich mich nicht wohl und hatte den Kragen der gefütterten Lederjacke hoch gestellt. Aber so waren eben die Novembernächte hier in England. Es hatte sie in der Vergangenheit gegeben, und es würde sie auch in der Zukunft geben.
Daß mich ausgerechnet Father Ignatius an diesen einsamen Ort bestellt hatte, fiel mir schwer zu begreifen. Andererseits gab es bestimmte Gründe, das nahm ich ihm ab, denn der Mönch und das Mitglied der Weißen Macht und zudem noch Lieferant und Hersteller meiner geweihten Silberkugeln hatte seine Gründe. Zuvor hatten wir telefoniert. Natürlich war ich neugierig gewesen, aber auch auf mein zweimaliges Nachfragen hatte er mir keine Antworten gegeben.
Und dann dieser Treffpunkt. Auf einem Güterbahnhof. In einem Waggon. Auf einem toten Gleis oder in einem toten Teil des Güterbahnhofs.
Den hatte ich inzwischen erreicht und meinen Rover im Schatten einer schmalen Baracke abgestellt.
Den Rest des Weges mußte ich zu Fuß gehen. Es war keine bequeme Strecke, da der Weg quer über die alten Gleise führte.
Mit einem rangierenden Güterverkehr brauchte ich hier nicht zu rechnen. Dieses Gebiet war stillgelegt worden. Gearbeitet wurde weiter nördlich in dem anderen Teil des Areals. Von dort aus schimmerten auch die Lichter der Industrielampen zu mir herüber, ohne daß sie meine Gegend erhellten.
Kälte, Nässe in der Luft. Ein Wind, über den ich auch nicht eben froh war und dieses in der Dunkelheit futuristisch und menschenfeindlich wirkende Bild einer künstlichen Natur.
Die Gleise liefen parallel oder zweigten ab. Sie waren stets präsent.
Ich mußte sie
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