1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
begraben werden und nie wieder auferstehen. Dieser Orden war beinahe schon eine Schande. Vielleicht war er auch deshalb nicht so akzeptiert, wie es der Abt gern gehabt hätte.
Das Licht wies ihnen auch den weiteren Weg. Blasius ging voran. Es war ein enger krummer Gang, durch den er sich schob. Die Vorfahren hatten ihn in den harten Fels geschlagen. Blanke Steine, ein unebener Boden, schlechte Luft und viel Feuchtigkeit.
Der alte Mann schlurfte hinter Blasius her, der die Tür des Verlieses als erster erreichte und stehenblieb. Er drehte sich. So leuchtete er dem langsam näherkommenden Abt entgegen, dessen Gesicht zu einer Fratze verzerrt war. Er hatte mit sich selbst zu kämpfen. Eine Hand lag auf der linken Brustseite, mit der anderen stützte er sich an der Wand ab und blieb keuchend neben dem jüngeren Mann stehen.
»Gut«, sagte er. »Das ist sehr gut. Ich habe es geschafft.« Plötzlich kicherte er und deutete auf die verschlossene dicke Holztür. »Dahinter finden wir ihn. Dort vegetiert er vor sich hin, und dort wird er irgendwann einmal auch sein erbärmliches Leben beenden, das kann ich dir versprechen.«
Blasius erschauerte, als er den Haß in der Stimme des Abts hörte. So etwas war ihm fremd. Er war nicht in den Orden eingetreten, um zu hassen. Er hatte das Gefühl der Gemeinschaft erleben wollen, doch das war ihm längst im Laufe der Jahre verlorengegangen.
Mit seinen etwas steifen Fingern kramte der Abt in der rechten Tasche seiner Kutte. Den Schlüssel hatte er schnell gefunden und zog ihn vorsichtig hervor.
»Hier, schließ auf!«
Blasius nahm den Schlüssel an sich. Das Schloß war einfach. Es hielt einen Riegel fest, der nach dem Öffnen zurückgezogen werden mußte.
Das Metall schnarrte, als Blasius daran zerrte. Der alte Mann stand nicht mehr so gebückt. Er hatte sich aufgerichtet. Die schlechte Luft hier unten und die Enge machten ihm in diesem Augenblick nichts mehr aus, weil er sich am Ziel sah. Das gab ihm Auftrieb, und Blasius konnte so etwas nicht verstehen.
Die schwere Holztür konnte nur mit Mühe von ihm aufgezogen werden. Sie war sperrig, und dahinter lag das dunkle, Verlies.
Blasius mußte vorgehen. Der Abt blieb dicht hinter ihm. Der jüngere Mann spürte den Anprall der Furcht, als er auf der Schwelle stand. Nicht weil Aslan schon fast einen Tag und eine Nacht hier unten allein und in völliger Dunkelheit verbracht hatte. Das berührte ihn auch, aber es kam noch etwas anders hinzu.
Er hatte die Veränderung gemerkt, kaum daß er die fremde Umgebung betreten hatte. Da war etwas auf ihn zugeweht. Es war so fremd. Er kannte es nicht, eine Aura, die ihn warnte.
Er ging tiefer in das Verlies hinein, wobei er den rechten Arm halb hoch hielt und vorstreckte, damit Licht das gesamte Gefängnis durchleuchten konnte.
Der Abt hatte sich neben ihn geschoben. Er redete mit sich selbst. Es konnte sogar ein Gebet sein, was über die Lippen des alten Bruders drang.
Blasius bewegte seine Hand.
Auch das Licht tanzte jetzt.
Er sah die Mauern, er sah den Glanz der Feuchtigkeit auf ihnen und auf dem Boden.
Aber er sah Aslan nicht!
War er weg?
Hinter ihm fluchte der alten Mann und drückte eine Hand in Blasius' Rücken. So schob er ihn noch tiefer in das Verlies hinein, und die Flamme riß auch die Finsternis in den letzten Ecken entzwei.
Sie sahen Aslan!
Kein anderer konnte es sein.
Er stand an der Wand wie eine Statue, die nur auf ein bestimmtes Ereignis gewartet hatte.
Der Schreck erwischte sie innerhalb von Sekunden, denn Aslan sah nicht mehr so aus wie sonst.
Er war zu einer Gestalt des Schreckens mutiert!
***
Niemand der beiden konnte sagen, was genau mit ihm geschehen war, aber es war etwas geschehen, und er war eigentlich nur an seiner Kutte zu erkennen.
Sein Gesicht sah so anders aus. So glatt und auch grünlich. Er besaß keine normalen Augen mehr.
Wo sich früher die Pupillen abgezeichnet hatten, war jetzt eine dünne Haut zu sehen, die darüber gewachsen war. Er schien sogar größer geworden zu sein, und jemand hatte ihm eine Waffe gegeben.
Es war eine Sense. Das Sinnbild des Todes. Er hielt den Griff mit der rechten Hand fest, die sich in der Zeit seiner Gefangenschaft zu einer Kralle verändert hatte.
Kein Mensch, ein Monstrum!
Eine Gestalt, die Menschen einfach hassen mußte und dabei aussah wie von einer künstlichen Haut überzogen, zu der die Totenaugen paßten.
Der Abt stöhnte auf. Er wollte nicht akzeptieren, was da vor ihm stand. Die röchelnden
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