1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
genauer erklären, denn ich habe momentan eine Blockade. Wenn der Verfolger ihr kein Leid antun will, braucht sie doch keine Furcht zu haben.«
»Das sollte man meinen. Trotzdem erstickt sie fast an der Angst. Ich bin der Ansicht, daß er etwas von ihr will. Etwas ganz bestimmtes. Er will sie haben. Er braucht sie, aber bitte, frag mich jetzt nicht nach den Gründen. Die nämlich hat mir Alissa auch nicht sagen können. So dicht war der Kontakt zwischen den beiden nicht.«
Ich stützte das Gesicht in beide Hände. »Also wenn du ja nicht neben mir sitzen würdest und mir das erzählt hättest, einen anderen Menschen hätte ich für einen Spinner gehalten, von wenigen Ausnahmen natürlich abgesehen, wie eben bei dir.«
»Du kannst es mir glauben.«
»Du selbst aber hast den Verfolger nicht gesehen - oder?«
»Nein, leider nicht. Er hält sich zurück. Er ist auch nie in ihre Nähe gekommen, seit sie bei uns Schutz gesucht hat. Anscheinend traut er sich nicht in den Vatikan hinein. Aber sie kann nicht bleiben, John. Ich muß sie dem normalen Leben wieder zurückgeben.«
»Aus deiner Sicht ist das verständlich.«
»Danke.«
»Ach, hör auf.«
»Dann wirst du mir den Gefallen tun und so etwas Ähnliches wie ein Schutzengel für sie sein?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Kann ich dir denn einen Gefallen abschlagen?«
»Das hat damit nichts zu tun. Hier geht es einzig und allein nur um Alissa.«
»Okay, einverstanden.« Durch meine Gestalt ging ein Ruck. »Jetzt haben wir so viel über deine Alissa gesprochen, da wäre es nur recht und billig, wenn ich sie kennenlernen könnte.«
»Das ist kein Problem.«
»Wunderbar. Wo ist sie?«
Ich wollte schon aufstehen, aber die Antwort des Mönchs sorgte dafür, daß ich sitzenblieb.
»Sie ist hier, John. Alissa – kommst du?« Er winkte nach vorn, wo es dunkler war.
Aus der Dunkelheit löste sich eine Gestalt und kam mit langsamen Schritten auf uns zu…
***
Sie trat hinein in das Licht der Lampe. Es enthüllte meinen Blicken eine Frauengestalt, deren Körper von einem dunklen Mantel umgeben war, der bis zum Hals geschlossen war.
Je näher sie kam, um so deutlicher konnte ich sie erkennen. Alissa war eine sehr hübsche junge Frau. Mit weichen, sehr weiblichen Gesichtszügen, dunklen Augen, vollen Lippen, langen, krausen, dunklen Haaren, einer kleinen Nase und Augen, die sehr ängstlich blickten und zu fragen schienen, ob sie mir nun trauen sollte oder nicht.
Father Ignatius stand auf und ging ihr entgegen, weil sie stehengeblieben war. »Du brauchst dich nicht zu fürchten, Alissa. Das ist John Sinclair, von dem ich dir schon viel erzählt habe. Er ist ein sehr guter Freund für mich. Du kannst ihm vertrauen, sonst hätte ich dich nicht zu ihm gebracht.«
»Ja«, sagte sie leise, wobei sie nicht mich, sondern Ignatius anschaute. »Er hat gute Augen.«
»In der Tat hat er die.«
Alissa ließ sich von ihm in meine Nähe führen. Ich war aufgestanden und streckte ihr die Hand entgegen. Sie zögerte ein wenig, gab sich einen Ruck und legte ihre schmale Hand in meine. Dabei spürte ich deutlich ihr Zittern, und das war sicherlich nicht gespielt. Die Angst steckte in ihr. Es gelang ihr auch nicht, ihre Nervosität zu verbergen. Ihr Blick glitt immer wieder hin und her.
»Ich bin John. Willst du dich nicht setzen?«
»Ja, gern.«
Zwischen uns beiden fand sie ihren Platz. Ignatius sprach noch einmal beruhigend auf sie ein. Er redete Italienisch, aber Alissa konnte sich auch in der englischen Sprache unterhalten, was ich wiederum gut fand.
»Sie vertraut dir«, sagte Ignatius.
»Wie schön. Aber was sagt sie dazu, daß du sie allein lassen wirst?«
»Sie versteht es. Aber sie möchte irgendwann wieder in ihre Heimat Italien zurück.«
»Dafür habe ich ebenfalls Verständnis. Wenn ich sie beschützen will, müßte ich mehr über sie wissen.«
»Du kannst sie fragen. Ich bezweifle, daß sie dir gegenüber Zurückhaltung an den Tag legen wird. Jetzt nicht mehr. Ich spüre, daß sie dir vertraut. Und sie hat mir auch versprochen, deinen Freunden ebenfalls das nötige Vertrauen entgegenzubringen.«
»Ist immerhin ein Anfang.«
Alissa drehte mir ihr Gesicht zu. Zum erstenmal sah ich sie lächeln. Das machte sie mir noch sympathischer und gab ihrem Gesicht einen jüngeren Ausdruck, beinahe schon einen kindlichen.
»Darf ich dich was fragen, Alissa?«
»Bitte.«
»Father Ignatius hat mir schon einiges erzählt, was du sicherlich auch gehört haben wirst,
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