1133 - Der Mönch mit den Totenaugen
er gezeichnet worden ist.«
»Nein, John, ich sah ihn als einen Mönch«, sagte Alissa. »Er war ein Mönch mit Totenaugen. Schrecklich. Als hätte man ihm die Augen ausgestochen oder auch geblendet. Und er lebte, was für mich auch ein Rätsel ist. Wie kann er leben, existieren? Wie kann er mich gefunden haben, obwohl er doch blind ist? Warum gerade mich?«
Das war eine gute Frage. Eigentlich die Frage überhaupt, und mir fehlte die Antwort.
Auch Father Ignatius gab nicht mehr als eine Vermutung bekannt. »Der Grund müßte eigentlich in der Vergangenheit liegen, John.«
»Nein. Nicht im Waisenhaus. Oder ist er dort auch schon erschienen? Hast du davon etwas gehört?«
»Nein«, sagte Alissa. »Erst später. Da war ich schon weg aus dem Waisenhaus. Vielleicht hat er sich dort nicht hingetraut. Das könnte doch auch der Fall gewesen sein. Ich habe ihn auch nie in einer Kirche gesehen, wenn ich dort zu tun hatte. Er muß die Gotteshäuser hassen, wie der Teufel.«
Ihre Stimme sackte ab. »Manchmal habe ich gedacht, daß dieser Verfolger sogar der Teufel gewesen ist. Er kann ja in verschiedenen Verkleidungen auftreten. Das jedenfalls habe ich des öfteren gehört und auch gelesen.«
»Was denkst du, John?« fragte mich Ignatius.
»Nicht viel. Ich würde ihm gern gegenüberstehen.«
»Das wird vielleicht eintreten, wenn du Alissa unter deine Fittiche nimmst.«
»Einfach wird es mit uns beiden nicht werden.«
Sie lächelte scheu. »Das glaube ich, aber ich vertraue dir. Ignatius hat mir viel über dich erzählt…«
»Das darfst du nicht alles glauben, Alissa. Manchmal übertreiben auch Mönche.«
»Lassen wir das Thema«, schlug Ignatius vor. »Etwas anderes ist wichtiger. Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wie es jetzt weitergehen soll? Ich meine, in dieser Nacht. Alissa kann ja nicht im Freien schlafen.«
»Ich nehme sie mit zu mir.«
Ignatius lächelte. »Sie ist sehr schön, attraktiv und…«
»Ja, klar, und ich bin der große Sex-Guru. Keine Sorge, sie kann auch bei Suko und Shao schlafen. Aber ich sage dir gleich, ich kann sie nicht auf Schritt und Tritt bei mir behalten. Ich habe einen Job zu machen und Suko ebenfalls.«
»Deshalb dachte ich ja an die Conollys.«
»Hast du Alissa von ihnen berichtet?«
»Das habe ich. Ich habe ihr auch erzählt, daß sie schon einmal einer Frau Asyl gewährt haben, einer gewissen Nadine Berger.«
»Das wird schon klappen.«
»Sie hat auch Gepäck.«
»Wo?«
»Wir müssen es nur aus dem kleinen Hotel abholen, in dem wir beide untergekommen sind.«
»Das erledigen wir gleich.«
Ich wollte wissen, wie spät es war. Father Ignatius stand schon auf, als ich auf die Armbanduhr blickte. Noch etwas über eine Stunde, dann hatten wir die Tageswende erreicht. Shao und Suko waren sicherlich noch auf den Beinen. Ich würde ihnen Bescheid geben, damit Shao schon das Nachtlager vorbereiten konnte.
Auch Alissa war aufgestanden. Sie lächelte mir zu und sagte mit leiser Stimme. »Ich möchte dir und deinen Freunden wirklich keine Unannehmlichkeiten bereiten, John.«
»Das tust du auch nicht. Dein Schicksal interessiert mich. Es ist auch mein Beruf, diese verdammten Gestalten zu jagen, die man als Dämonen bezeichnen kann.«
»Dann bin ich beruhigt.«
Ich hatte noch eine Frage an Ignatius. »Sag mal, warum haben wir uns eigentlich hier in diesem Waggon treffen müssen?«
»Es war nicht meine Idee. Alissa wollte es so. Eine einsame Stelle, wo wir nicht gestört werden.«
»Glaubst du eigentlich, daß sie verfolgt worden ist?«
Ignatius zögerte damit, die Tür zu öffnen. »Dann müßte diese Gestalt hier in London sein.«
»Genau.«
»Gesehen habe ich den Mönch mit den Totenaugen hier noch nicht«, erklärte Alissa.
»Das läßt hoffen.«
Ignatius war anderer Meinung. »Nein, John, das läßt mich nicht hoffen. Daran glaube ich nicht. Er gibt nicht auf. Und wenn er der Dämonenwelt entstammen sollte, dann sind Entfernungen doch kein Problem für ihn. Oder bist du anderer Meinung?«
»Nein, und das weißt du genau.«
Father Ignatius öffnete die Schiebetür. Er schlug sie nicht schnell zurück. Zuvor hatte Alissa das Licht im Waggon gelöscht. So gaben wir in der offenen Tür stehend wenigstens keine Zielscheibe ab.
Es wurde nicht auf uns geschossen. Es erfolgte auch kein anderer Angriff. Ein Teil des Güterbahnhofs lag vor uns wie eine offene Bühne. Die Gleise, die Masten, die Signale. Lichter in der Ferne.
Geräusche, die wie das Bellen
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