1134 - Im Innern einer Sonne
immer stärker, mächtig er und durchdringender. Sein mentales Potential wuchs weiter. Schon bald spürten unsere Väter wieder jenen Druck auf ihren Gedanken, vor dem sie geflohen waren, leise zwar und schwach, aber jederzeit und überall fühlbar. So begannen sie neue Wege zu ersinnen, trachteten nach dem wirksamsten Schutz und dem optimalen Versteck. Noch einmal gingen sie hinaus, solange es trotz der steigenden Mentalstrahlung noch möglich war. Auf der Oberfläche der neuen Welt bauten sie weitere Anlagen und integrierten sie in das bereits Bestehende. Mit ihrer Hilfe wurde ein energetischer Wall erzeugt, ein rundum geschlossenes Kraftfeld, das den künstlichen Planeten, Silkan, hermetisch abriegelte. Die mentale Existenz wurde ausgeschlossen, der Druck verschwand.
Den Ahnen war das jedoch nicht genug. Das Kraftfeld erfüllte einen weiteren Zweck. Es sollte auch thermische, chemische, atomare Reaktionen abwehren. Denn es war nicht auszuschließen, daß Chtapofis eines Tages vom Geist zur Materie würde und mit gegenständlicher Gewalt das Gefüge der neuen Welt zu erschüttern versuchte. Und dagegen, so hofften die Väter, gab es nur einen wirklich wirksamen Schutz - das Innere der Sonne, das jedem Leben zum Tod und jeder Substanz zur Auflösung gereichte.
Silkan, die Welt, wurde versetzt. Sie erhielt einen Platz in den äußeren Schichten von SILK. Das Kraftfeld schützt sie vor allen Einflüssen und hält unseren Lebensraum stabil.
*
„Deshalb", murmelte Forrler erschüttert, „kann man nicht feststellen, ob Chtapofis ist oder war. Zwischen dieser und der anderen Welt flammt die Sonne. Es gibt kein Durchkommen."
Es fiel ihm schwer, die Zusammenhänge in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen. Eine Sonne in dem Sinn, den der Altweise meinte, war für ihn eher ein abstraktes Gebilde.
Das, was Forrler als Sonne kannte, hing in der Mitte der Welt und war ein künstliches Ding, von ihren Vätern erschaffen und konstruiert; klein, kompakt und mit den Zentralgestirnen der anderen, wahren Welt nicht vergleichbar. Mrnck hatte ihn gelehrt, wie eine echte Sonne aufgebaut war, welche Größe sie hatte und welche Vorgänge in ihr abliefen. Dennoch bereitete es ihm Mühe, sich über alle Schulweisheiten hinwegzusetzen und sich ein konkretes Bild von den geschilderten Gegebenheiten zu zeichnen.
„Die Wege, die wir Altweisen bewachen", sagte Mrnck leise, „führen auf die Außenfläche der Welt Silkan. Dort enden sie. Wir können bereitstehende Raumschiffe benutzen und die Enklave in der Sonne durchkreuzen. Aber wir können die Enklave nicht verlassen, die Sonnenschicht nicht durchstoßen und nicht feststellen, ob Chtapofis noch existiert."
„Wenn die Zeit reif ist...", zitierte Forrler jenen geheimnisvollen Passus aus der Präambel der Verfassung. „Welche Bedeutung hat dann dieser Satz?"
„Ahnst du es nicht?" Mrnck lehnte sich zurück und nippte an seinem Glas. „Früher, als Silkan hier verankert wurde, da gab es einen Pfad, der in die andere Welt hinausführte, einen Korridor durch die Sonne, der den Rückweg sicherte und eines fernen Tages dem Volk zur Heimkehr nach Silkron dienen sollte. Die ersten Altweisen benutzten ihn auch, aber sie konnten immer nur berichten, daß der Geist die andere Welt noch ärger als zuvor durchdrang. Irgendwann aber brach der Sonnenkorridor in sich zusammen. Man sagt, Chtapofis sei unser gewahr geworden und habe den Pfad zerstört. Der Geist isolierte uns in unserer Enklave, trotz unseres Rückzugs bezwang er uns..."
Das Ende der Geschichte! dachte Forrler aufgewühlt. Jetzt kannte er die ganze Wahrheit, verinnerlichte und begriff die letzte Erkenntnis!
Das Wissen setzte ihm zu, es machte ihn unruhig und nervös, zerstörte den inneren Frieden. Vor allem hatte er sich verschließen können; jede einzelne Geschichte war ihm zwar interessant erschienen, er hatte sie nicht als Märchen oder Phantasie abgetan, sondern als Realität erkannt und sich damit auseinandergesetzt, ohne dabei eine Belastung zu empfinden. Den tieferen Gehalt von Mrncks Erzählungen aber hatte er im Alltag immer vergessen oder verdrängen können, sie waren nicht wichtig im täglichen Leben.
Die letzte Wahrheit jedoch kannte keine Rücksicht mehr. Sie breitete sich in seinen Gedanken aus, in seinen Gefühlen, und zerstörte unerbittlich eine Weltanschauung, althergebrachte Werte ebenso wie die persönliche Lebensphilosophie.
Forrler spürte es deutlich: Nichts würde mehr so sein, wie es einmal
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