1134 - Im Innern einer Sonne
war. Alles würde sich ändern.
Noch erschreckte ihn diese Vorstellung.
Der Altweise schwieg eine ganze Weile. Er ließ dem Silkrin Zeit, überantwortete ihn den rasenden Gedanken, dem Schock. Wie lange er im Endeffekt brauchte, bis er die Inhalte in sein Weltbild und seine Lebensauffassung integrierte und sie als deren tatsächliche Grundlage verstand, wußte jedoch auch der Weise nicht abzuschätzen.
„Du wolltest den Weg mit mir gehen", sagte er schließlich. „Ich werde ihn dir zeigen."
Forrler schreckte auf. Es schien, als habe er plötzlich Angst vor dem, was er selbst vor kurzem noch mit Nachdruck gefordert hatte. Er blickte unruhig auf die Uhr.
„Es ist spät geworden", wehrte er ab. „Ich muß zurück. Daheim werden sie sich schon Sorgen machen."
Mrnck sah ihn an, nachsichtig lächelnd, aber mit tiefem Ernst in den Augen.
„Es gibt kein Zurück mehr, mein Freund. Sagte ich nicht, daß du eines Tages meine Stelle übernehmen würdest? Dein Platz ist jetzt hier, in diesem Berg, in diesen Räumen, an meiner Seite ..."
Forrler durchzuckte ein neuer Schmerz, Widerstand keimte in ihm auf. Er dachte an Llrrt, an Nrla, an sein Zuhause, seine Arbeit, seine Kollegen - an alles, was ihm lieb, teuer und vertraut war.
„Was verlangst du von mir!" fuhr er den Altweisen an. „Ich kann nicht einfach alles aufgeben, nur weil ich jetzt die ganze Wahrheit kenne! Meine Familie..."
Er brach ab, schuldbewußt fast. Die Familie! wiederholte er in Gedanken. Hatte er sich nicht gerade vor ihr immer wieder hierher geflüchtet - zu dem Altweisen, der ein Pol der Ruhe und der Entspannung in seinem unausgeglichenen Privatleben war? Nrla, die Zänkische, Streitbare, Unzufriedene; Llrrt, das erotisch Fesselnde, aber zunehmend Ablehnende, sich Loslösende... und er, Forrler, der Bequeme, in alten Traditionen Gefangene, in eingefahrenen Bahnen der Über- und Unterordnung Denkende...
War diese Familie nicht längst am Ende? Nur noch ein blasser Widerschein dessen, als was sie vor 20 Jahren begonnen hatte? Zur Entfremdung und Auflösung verurteilt?
Nichts, erkannte Forrler, sprach dagegen, die Trennung sofort zu vollziehen, dem Leben in Hektik, Streß und Ärger abzuschwören und an seiner Stelle eine Existenz in Wohlstand, Ruhe und Muße zu gründen. Eine neue, grandiose Aufgabe - sie wartete auf ihn, forderte ihn!
Es ging wie ein Ruck durch den Silkrin. Die Umkehr und der Neubeginn würden sich nicht von einer Minute auf die andere verwirklichen lassen, das wußte er. Er würde Zeit brauchen und - zwischen Familie und dem Altweisen zunächst hin- und herpendelnd - allmählich in die neue Aufgabe hineinwachsen; bis er stark genug war, endgültig alle Brücken hinter sich abzubrechen. Aber den Anfang wollte er machen, die Signale setzen und die Weichen stellen - jetzt und hier!
„Zeig mir den Weg!" forderte er Mrnck auf. „Laß ihn uns gehen!"
*
Bisher hatte Forrler geglaubt, sich in der Wohnung des Altweisen recht gut auszukennen. Jetzt merkte er, wie sehr er sich damit irrte. Mrnck führte ihn durch ein schweres Schott in Bereiche, von deren Existenz der Silkrin bislang überhaupt nichts ahnte. Ihre Gestaltung war fremdartig, ganz anders als die der eigentlichen Wohnräume; mitunter wirkte sie sogar skurril und abstrakt. Hier herrschte nicht Behaglichkeit, sondern kalte Technik von solch unbekannter Funktion und hohem Standard, daß alle Wissenschaftler der Welt geschworen hätten, dies dürfe es von Rechts wegen gar nicht geben.
Forrler vermittelte es einen bleibenden Eindruck von dem enormen Wissen und dem Fortschritt, deren sich die Väter hatten bedienen können. Heute war das alles längst in Vergessenheit geraten - genaugenommen hätte die Kenntnis dieser Dinge dem Leben und der Gesellschaft der neuen Welt eher geschadet als genutzt.
„Die Schale Silkans ist förmlich vollgestopft mit Geräten und Maschinen, deren Zweck heute niemand mehr begreifen konnte", erklärte Mrnck. „Kein Silkrin dürfte sie bedienen, ohne eine Katastrophe heraufzubeschwören. Sie alle arbeiten selbsttätig. Sie sorgen für die Schwerkraft und die Atmosphäre, sie halten das System stabil, erzeugen die Enklave, bändigen die Sonne - und was der Dinge mehr sind."
Forrler ging schweigend neben dem Weisen her. Mit vielem, was er hörte, konnte er nichts anfangen, weil seine Vorstellungen zwangsläufig abstrakt bleiben mußten. Aber in seinem Denken und Fühlen breitete sich in dem Maß, in dem der Schock der Erkenntnis sich
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