1137 - Madame Tarock
tatsächlich schaffte, ihren Kopf nach hinten zu drehen und dabei am Leben zu bleiben, auch wenn dieses Leben alles andere als ein normales war…
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Madame Tarock war vom Friedhof aus nicht in ihre Wohnung zurückgegangen, die sich in der Nähe des Brandenburger Tors befand. Sie lebte dort in einem der neuen Häuser und mußte für die Räume eine verdammt hohe Miete zahlen, aber das brachte ihr Job ein. Unter Experten und Kennern wurde Zingara immer zu Rate gezogen. Sie war jemand, auf dessen Aussagen sich zahlreiche Menschen verließen. Weniger die kleinen Leute als diejenigen, die genügend Geld besaßen, um sie bezahlen zu können.
Männer aus der Wirtschaft und auch Mitglieder der Parteien. Menschen, die sich nach außen hin immer so pragmatisch und nüchtern gaben, tatsächlich aber unsicher waren und gern erfahren wollten, wie sich bestimmte Dinge entwickelten.
Auf ihrem Hausboot fand sie die nötige Ruhe. Dieser Wohnsitz war weniger bekannt, doch wer sie suchte, der würde sie auch hier finden, das stand fest.
Das Hausboot dümpelte auf dem ruhigen Wasser eines alten Spree-Kanals. Schiffe fuhren hier nicht mehr, und ihr Boot war nicht das einzige auf dem Wasser. Es gab mehrere, die auch bewohnt waren.
Zumeist von Menschen, die wenig Geld für hohe Mieten besaßen. Da kam ihnen ein Hausboot gerade recht.
Niemand der Nachbarn wusste so recht, wer Zingara war. Man stellte hier auch keine Fragen. Wenn, dann wunderte man sich im geheimen über die dunkelhaarige Frau, die stets von einer Aura des Geheimnisvollen umgeben war, zumeist lächelte, als wollte sie hinter diesem geheimnisvollen Lächeln etwas verbergen.
Nach dem Vorfall war sie zu ihrem Hausboot gefahren, um in Ruhe nachdenken zu können. Es hatten sich einige Probleme aufgebaut. Da war zunächst dieser Killer gewesen, der ihr Leben hatte auslöschen sollen. Zingara war klar, wer ihn geschickt hatte. Es gab nur einen Menschen, der sie so abgrundtief hasste, dass er sie so schnell wie möglich ins Jenseits befördern wollte.
Dieser Mann hieß Victor Koss!
Madame Tarock kannte ihn schon länger. Auch für ihn hatte es einmal schlechtere Zeiten gegeben.
Damals, als der Eiserne Vorhang noch geschlossen gewesen war. Aber diese Zeiten waren vorbei.
Koss hatte seine Heimat Rumänien verlassen und war über Prag nach Berlin gekommen, um dort sein verbrecherisches Netzwerk aufzubauen. Drogen, Menschenschmuggel, Prostitution, organisierter Diebstahl, das alles stand auf seinem Programm. In Rumänien hatte er damit begonnen, war aber nicht richtig hochgekommen. Das hatte sich erst geändert, als er nach Berlin gekommen war.
Koss hatte schon immer zu den rücksichtslosen Menschen gehört, denen das Leben anderer nichts wert war. Erst im Westen hatte er sich richtig ausbreiten können und war zu einem der heimlichen Herrscher der Unterwelt geworden.
Nach außen hin betrieb er ein Reisebüro. Da konnte man ihm nichts anhaben, doch Zingara wusste, dass ihm die Polizei bereits auf den Fersen war. Man hatte ihm nur noch nichts beweisen können, und das hatte Koss noch mehr bestärkt, sein Geschäft auszudehnen.
Doch wie bei vielen Mächtigen kam auch bei ihm noch etwas hinzu. Genau das Gegenteil. Auf der einen Seite war er der Chef und der große Zampano, der über Leichen ging. Auf der anderen wohnte tief in ihm eine dichte Angst, dass sein Reich irgendwann wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde. Er konnte niemand trauen. Falsche Freunde waren in seinem Geschäft an der Tagesordnung, und so hatte Victor Koss versucht, sich auf eine bestimmte Art und Weise abzusichern.
Er war zu einer Wahrsagerin gegangen. Zu Madame Tarock, um sich von ihr die Karten legen zu lassen.
Normalerweise hätte sie ihn weggeschickt, aber sie kannte ihn noch aus anderen Zeiten im Rumänien, obwohl sie da noch sehr jung gewesen war. Sie erinnerte sich, dass viele Menschen vor ihm große Furcht gehabt hatte, doch sie hatte sich schon damals nicht vor ihm gefürchtet. Zingara war immer etwas Besonderes gewesen.
Sie hatte nicht gewusst, was er in Berlin trieb. Dass es keine normalen Geschäfte waren, konnte sie sich schon vorstellen, und als er dann vor ihr gesessen hatte, um sein Schicksal zu erfahren, zumindest für die nächste Zukunft, da hatte es nach einem Blick in die Karten düster für ihn ausgesehen, denn im Zentrum hatte stets der Gehängte gestanden. Das Symbol für den Tod.
Bei anderen Kunden hatte sich Zingara nicht so offenbart. Sie wollte ihnen die Hoffnung
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