114 - Sylphidas Rachegeister
schläft zu lange, sie geht so gut wie nie aus, und sie ist zu blaß .«
»Shelby! Wie kannst du nur so über deine
Tochter sprechen ?« entrüstete sich Margareta Lady of
Gloghtonny.
»Ist doch wahr! Das Mädchen schlägt völlig
aus unserer Art. Ihr fehlt Begeisterung. Sie hockt den ganzen Tag in der Bibliothek,
blättert in staubigen Büchern und meint, auf diese Weise die Welt kennenzulernen.
Wir haben oft Gäste, interessante junge Männer umschwärmen sie ... Kein Wunder,
sie sieht anziehend aus ... Aber jeden verschmäht sie. Wenn das so weitergeht,
wird Gloghtonny-Castle eines Tages in Staatsbesitz übergehen, weil wir keinen
Erben kriegen .«
»Bellinda ist ein liebes Mädchen. Du solltest
sie nicht so kritisieren. Daß sie unsere einzige Tochter ist, daran läßt sich
nichts ändern. Weitere Kinder - vor allem ein Sohn, den du dir immer gewünscht
hast - sind uns leider versagt geblieben. Aber diese alten Geschichten wollten
wir ja nicht mehr aufwärmen. Es gibt inzwischen auch genug neue .«
»Zum Beispiel das Gespenst, das du siehst,
das eigenartigerweise mir aber noch nie begegnet ist.«
»Richtig, Shelby. Ich habe es vorhin wieder
gesehen .«
»Wann?«
»Darauf will ich dich die ganze Zeit schon
aufmerksam machen. Aber du hörst mir einfach nicht zu .«
»Ich bin ganz Ohr. Ich habe sogar mein
Klavierspiel unterbrochen, obwohl ich mir vorgenommen hatte, meine Komposition
noch mal durchzusehen. Da sind einige Stellen nicht ganz so, wie sie sein
sollen...«
»Hier ist manches nicht so, wie es sein soll,
Shelby. Manchmal kommst du mir vor wie ein großes Kind, das nur spielen will
und die Augen vor den wirklichen Problemen verschließt .«
»Probleme, meine Liebe, sind auch nichts
Erstrebenswertes. Man läßt sie links liegen .«
●
Die Lady mit der aufgeregten Stimme war die
Herrin von Gloghtonny-Castle, wie Morna aus dem Disput zwischen ihr und ihrem
Mann, dem Lord of Gloghtonny, inzwischen zweifelsfrei erkannt zu haben glaubte.
Es war ein seltsamer Streit.
Margareta Lady of Gloghtonny ließ nicht locker.
Sie zeterte über die Interessenlosigkeit
ihres Mannes, den nur die Musik zu begeistern schien. »Und dann beschwerst du
dich über Bellinda und behauptest, sie sei aus der Art geschlagen. Sie ist ganz
wie du! Nur, daß sie sich hinter ihren Büchern verkriecht... Es wird immer
schlimmer, Shelby«, verlegte die Frau sich aufs Betteln, ihre Stimme klang
plötzlich weniger aggressiv und wurde weinerlich. »Ich sehe Dinge, die du nicht
siehst. Aber in dieser Stunde, Shelby, hast du die Gelegenheit, nachzuprüfen,
daß ich recht habe. Der Maler ist wieder im Castle. Sie hat ihn hereingelassen .«
»Ich habe auch noch nie einen Maler gesehen .«
»Und auch noch nie seine Bilder, ich weiß.
Aber sie hängen vorn im Turm - und in einem zweiten Raum befindet sich ein voll
eingerichtetes Atelier. Das hast du auch noch nie gesehen .«
»Du sagst es, meine liebste Margie .«
Morna mußte sich im stillen eingestehen, daß
sie nie ein seltsameres Zwiegespräch belauscht hatte.
Was ging hier wirklich vor?
Spielte der Lord nur Theater, nahm er seine
nervöse Frau nicht ernst - oder was war eigentlich los?
Auch Morna hatte die Bilder und das Atelier
mit der goldfarbenen Staffelei und dem riesigen Bild darauf deutlich gesehen.
Alles nur eine Gespenstererscheinung, Dinge,
von denen Shelby Lord of Gloghtonny nichts wußte?
»Komm mit... ich zeige dir noch etwas. Ich
habe das Boot entdeckt auf dem unterirdischen Fluß, der unter dem Castle
vorbeifließt.
Es gibt das Boot und den Fluß und der Maler
benutzt beides. Heute zum letzten Mal, wie ich herausgefunden habe. Dann ist
seine Aufgabe, das Reich der Geister zu malen, beendet, Shelby... Dieser Maler,
Andy Reef, weiß von allem nichts. Er steht ganz im Bann der Unsichtbaren - und
das gleiche geschieht mit uns! Trenne dich endlich von dem Schatz, Shelby. Ich
bin überzeugt davon, daß er an allem schuld ist .«
»Unsinn! Das Gold hat uns stets gute Dienste
erwiesen. Im Gegensatz zu vielen anderen Familien, die ihre Besitze Touristen
zugänglich machen, für Beherbergung oder Besichtigung Geld verlangen müssen,
sind wir finanziell unabhängig...«
»Der Goldschatz, Shelby, ist nur geliehen ...
Du hast mir damals, als wir uns kennenlernten, selbst gesagt, daß er in der
fünften Generation zurückgegeben werden muß. Im fünfzigsten Lebensjahr dessen,
der die fünfte Generation nach dem Entdecker beginnt. Das bist du. Vor drei
Jahren
Weitere Kostenlose Bücher