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1140 - Der Eindringling

Titel: 1140 - Der Eindringling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Jahre seines Lebens mit der Arbeit an diesem Schränkchen verbracht hatte, unablässig damit beschäftigt, das komplizierte Muster der Verzierungen noch komplizierter zu gestalten. „Wenn er noch lange lebt", hatte Hurts Vater eines Tages spöttisch gesagt, „wird man von dem Muster nichts mehr sehen, weil die Oberfläche nur noch aus Perlmutt besteht." Aber der alte Mann hatte seine Arbeit offenbar genauer vorausgeplant, als sie alle es ahnten.
    Als nur noch ein kleiner Perlmuttstreifen einzusetzen war, kroch er eines Nachts aus seinem Bett, fügte dieses Streifchen an seinen Platz und starb. Hurt hing an diesem Schränkchen, obwohl es ein nutzloses Möbel war - einerseits konnte man kaum etwas darin unterbringen, andererseits war es ohnehin zu kostbar und zu empfindlich, als daß man es hätte benutzen können. Zu allem Überfluß entwickelte Tina eine heftige Abneigung gegen das Schränkchen. Hurt hatte es mit Mühe und Not geschafft, das kleine Schmuckstück im toten Winkel neben der Haustür unterzubringen - und war eines der zierlichen, geschnitzten Beinchen entzwei.
    „Du verdammtes Ungeheuer!" flüsterte Hurt, und er war von Zorn und Trauer so überwältigt, daß er Tinas Warnungen vergaß. „Wenn du wirklich eine Reinkarnation von Aleister Crowley bist, dann soll der Teufel dich holen, und alle bösen Dämonen dieses Universums sollen bis ans Ende aller Zeiten ihren Spaß an dir haben. Wenn du es aber nicht bist, und davon gehe ich aus, dann sollte man dich den Haien zum Fraß vorwerfen!"
    „Sie würden sich weigern, mich zu fressen", bemerkte der Fremde im Tank nüchtern.
    „Verdammt, hör auf damit!" bat Millie, die erst jetzt zu zittern begann. „Das Ding wird dich umbringen, wenn du es noch weiter reizt!"
    Tina, die durch den Lärm aufgewacht war, stürzte aus Hurts Schlafzimmer auf die Diele hinaus.
    „Hast du seinen Namen genannt?" fuhr sie Hurt wütend und entsetzt zugleich an. „Sag, daß du es nicht getan hast!"
    „Ich habe es aber getan!" schrie Hurt zornig. „Und ich werde es in Zukunft tun, so oft es mir paßt!"
    Tina wandte sich dem Tank zu und fiel auf die Knie.
    „Verzeih ihm, Meister!" flehte sie unter Tränen. „Er weiß nicht, was er sagt. Er ist ein Ungläubiger, aber er ist mein Mann! Bestrafe ihn nicht, bitte!"
    „Er ist nicht dein Meister!" schrie Hurt. „Er ist auch nicht Aleister Crowley. Er ist ein stinknormaler Verbrecher, der bei uns Unterschlupf sucht. Ich habe dieses Spiel jetzt satt.
    Er wird aus seinem Tank hervorkommen, das schwöre ich dir!"
    Millie sah, daß er die schwere, scharfe Machete - das zweite Erbstück von seinem Großvater - aus dem Fach unter der Sitzbank geholt hatte, und hängte sich an seinen rechten Arm.
    „Bleib stehen!" bettelte sie. „Er wird dich töten!"
    Und von der anderen Seite stürzte plötzlich Eri auf ihn zu und klammerte sich an sein linkes Bein, lauthals heulend und immer wieder schreiend: „Du darfst ihm nichts tun. Bitte, du darfst ihm nichts tun!"
    Für einen schrecklichen Augenblick glaubte Hurt, sich in einem Alptraum verlieren zu müssen, der niemals enden würde. Dann begriff er, daß er selbst den Mittelpunkt einer Szene bildete, die er unter allen Umständen hatte vermeiden wollen: Das war der falsche Weg. Gleichzeitig erkannte er, daß er eine Schlüsselrolle in diesem ganzen irrsinnigen Spiel übernommen hatte, ohne es zu merken. Er war nicht in Hysterie gefallen, als dieses Ding ihn zwang, es in seinem Haus aufzunehmen. Er hatte es mit Humor aufgenommen, daß Tina diesem Monstrum eine Identität andichtete, an die er nicht glauben konnte. Er hatte sogar Eris Zuneigung zu dem Fremden akzeptiert. Und bis dahin war alles gutgegangen. Es würde auch weiterhin gut gehen - wenn er sich selbst unter Kontrolle behielt und so ruhig und gelassen reagierte, wie es normalerweise der Fall war.
    „Es ist schon gut", sagte er langsam. „Ich werde ihm nichts tun, und er wird mich in Ruhe lassen. Hört mit dem Geschrei auf. Ihr könntet die Leute anlocken - und dann wird dieses Ding vielleicht doch noch durchdrehen!"
    Millie und der Tank schienen ihm zuzuhören, Tina und das Kind dagegen heulten und jammerten noch immer.
    „Ruhe!" befahl der Tank schließlich, und augenblicklich wurde es still.
    Hurt sah Millie an, und sie nickte, nahm ihm die Machete aus der Hand und tat sie in das Fach unter der Sitzbank zurück. Dann löste sie behutsam Eris Hände von Hurts linkem Bein, zog ihre Tochter an sich und sprach leise und beruhigend

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