115 - Das Höllenbiest
es.
»Haben Sie ihn auch genau angesehen?« bohrte Morrison weiter.
»Haben Sie sich diese Schultern betrachtet? Breit wie ein Kleiderschrank,
schlank in den Hüften, ganze zweiunddreißig Jahre alt. Ein Weiberheld. Der hat
täglich eine andre im Bett. Und was für Weiber, mein Lieber!« Morrison spitzte
die Lippen und gab einen leisen Pfiff von sich. Tenker verstand im ersten
Moment nicht, was dieser vertrauliche Hinweis mit dem Selbstgebrannten Whisky
zu tun hatte. Aber dann kam die Erklärung: »Dunk ist ein Teufelskerl. Ob blond,
braun oder rot, ihm ist’s egal, nur hübsch muß sie sein, und solche Brüste muß
sie haben.« Er zeigte, wie groß sie sein mußten, um bei Dunk Hillery eine
Chance zu haben. »Wenn er wieder ein solches Prachtweib aufgegabelt hat, dann
bekommt der Whisky, den er in einer alten Holzwanne aus Großvaters Zeiten
ansetzt, den letzten Pfiff. Seine jeweilige Liebhaberin muß in dem Gerstensaft
baden, mein Lieber. Das gibt dem Selbstgebrannten von Dunk die besondere Note.«
Tenker kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Er lachte,
während er das halbgeleerte Glas genau ansah.
»Laß mich dein Badewasser schlürfen«, sang Morrison. »Das war der
Schlager, den wir in den zwanziger Jahren drüben in Deutschland gesungen und
gepfiffen haben. Das Ganze war seinerzeit ein Riesenspaß für uns junge Männer.
Keiner hat wohl daran gedacht, daß es so etwas wohl wirklich geben könne. Da
muß man erst nach Irland fahren, lange genug hier leben und das Vertrauen der Leute
gewinnen, um dann einen solchen Tropfen genießen zu dürfen, der nach einem
alten Hausrezept hergestellt wird. Dunk hat mir erzählt, daß sein Großvater
bereits seinen Selbstgebrannten auf diese Weise würzte.«
Horst Tenker wußte nicht, was er von dieser merkwürdigen
Geschichte des Alten halten sollte.
Er leerte sein Glas, schluckte den Rest tapfer hinunter und
meinte: »Das beste Badewasser, das ich jemals getrunken habe. Die Dame möchte
ich kennenlernen, Morrison.«
Der Weißhaarige sah ihn mit ernsten Augen an.
●
Sie unterhielten sich wie zwei alte Freunde. Sie vergaßen die
Umgebung. Nur hin und wieder wurden sie still, wenn ein besonders
stimmungsvolles Volkslied erklang und wo dann auch Gil Morrison nicht an sich
halten konnte und im Verein mit den anderen mitsang.
Der Wirt kam noch einmal an ihren Tisch. Er machte eine
scherzhafte Bemerkung und meinte beiläufig, daß Tenker ruhig noch ein paar Tage
bleiben sollte.
»Sie haben Morrison kennengelernt«, fuhr er fort. »Der kann Ihnen
eine ganze Menge zeigen. Er hat Zeit und spielt gern den Fremdenführer. Und er
selbst kann mit einer Besonderheit aufwarten, die ihnen von allen Anwesenden
bestimmt sonst keiner bieten kann. Morrison lebt in einem alten Turm. Darin
gibt es noch Geister und Feen.«
Tenker schüttelte den Kopf.
Morrison winkte ab. »Sie dürfen nicht alles glauben, was Dunk
erzählt. Horst.« Sie nannten sich schon beim Vornamen. Sie waren heiter und in
bester Stimmung. Der reichlich genossene Whisky zeigte seine Wirkung.
»Turm stimmt«, gestand Gil Morrison. »Feen und Geister stimmen
nicht. Es gibt in Irland genausowenig Gespenster wie sonst irgendwo auf der
Welt. Auch wenn sich die Burschen hier auf Originalgespenster. Spukschlösser
und Geisterburgen soviel einbilden. Der Turm, in dem ich wohne, ist schon
vierhundert Jahre alt. Auch da soll es angeblich ein Turmgespenst gegeben
haben. Seit fünfundzwanzig Jahren hause ich dort, und das Gespenst hat sich bis
zur Stunde noch nicht blicken lassen.«
»Du hast es vertrieben«, murrte Dunk Hillery. Er konnte keine nähere
Erläuterung darüber abgeben, weil er zwei Tische weiterging, um dort eine
Bestellung entgegenzunehmen. Drei junge Männer winkten mit leeren Bierkrügen.
»Kann man denn in einem so alten Turm wirklich leben?« Horst
Tenker sprach schon mit schwerer Zunge.
»Man kann noch mehr«, auch Morrison hatte seine Mühe, noch einen
anständigen Satz zusammenzubekommen. »Ich züchte meine eigenen Kartoffeln, mein
Gemüse und meinen Salat. Und ich …« er bekam den Schluckauf und mußte sich
unterbrechen, »… ich habe sogar … eine eigene Ziege, jawohl … und die melke ich
… die gibt mir Milch … die Milch der frommen Denkungsart …« er lachte laut,
griff nach der Flasche und knallte sie auf den Tisch. Aber in dem allgemeinen
Krawall ging auch dieser Krach unter.
»Einen Turm«, schrie Tenker um sich verständlich zu machen, »habe
ich schon gesehen.
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