115 - Die Herrin des Sumpfes
gehörte. Doch das wußten die Garimpeiros nicht. Für sie brach ein Tag wie jeder andere an. Allerdings nicht für alle.
Für den abergläubigen, ängstlichen Nico Vega war es ein besonderer Tag. Der Tag seiner Flucht. Ja, er wollte fortlaufen, sich in Sicherheit bringen, denn Kogora war eine Bedrohung, der der stärkste Mann nicht gewachsen war. Ein schwarzes Gewitter braute sich über den Köpfen der Garimpeiros zusammen, und Nico wollte nicht mehr hier sein, wenn es losbrach, denn es würde mit Sicherheit keinen Mann und keine Frau verschonen. Nico war davon überzeugt, daß schon bald alle Garimpeiros den Todfeinden würden.
Aber es hatte keinen Zweck, sie zu warnen. Niemand hätte ihm geglaubt. Diese Männer waren abgestumpft, halten das Hirn von Ochsen, trotteten täglich zur Arbeit und hatten am Abend nicht einmal mehr die Kraft, richtig enttäuscht zu sein. Ihnen war alles egal. Einerseits klammerten sie sich weiterhin an die Hoffnung, irgendwann das große Los zu ziehen, andererseits aber wußten sie, daß es dazu nie kommen würde. Wenn sie zu sich selbst ehrlich sein wollten, mußten sie sich eingestehen, daß sie sich an dem Tag aufgegeben hatten, wo sie den Entschluß faßten, in den Urwald zu gehen und nach Gold zu suchen.
Wer nährte bloß die Gerüchte, die von Männern erzählten, die nur ein paar Monate gebraucht hatten, um stinkreich zu werden?
Vasco da Volta hatte es schlau gemacht. Er war hier der Capo, traf die letzten Entscheidungen, war die Oberste Instanz, schlichtete Streitigkeiten, entschied, wer bleiben durfte und wer gehen mußte. Er hatte vor drei Jahren ein bißchen mehr Gold gefunden als die anderen, und er hatte sein Gold sehr gut angelegt, indem er einen starken Generator kaufte, der Strom erzeugte, und einen großen Kompressor, der das Wasser aus dem Fluß pumpte und mit enormem Druck durch Schläuche jagte, die so dick wie zwei Männerarme waren. Seither brauchten sich die Garimpeiros nicht mehr mühsam mit Schaufel, Spaten und Spitzhacke in die Uferböschungen zu graben, sondern sie setzten die dicken Wasserstrahlen ein. Sie unterhöhlten damit die aufragenden Uferwände, wuschen so viel Erdreich heraus, daß überhängende Schichten krachend abbrachen - und das alles wurde dann gewissenhaft nach Spuren von Goldstaub untersucht.
Und von jedem Fund bekam der Capo seinen Anteil, denn schließlich hatte man seine Maschine benützt.
Vasco da Volta arbeitete auch nicht. Zwischen ihm und Joao Derecca war aber dennoch ein gewaltiger Unterschied. Die beiden ließen sich überhaupt nicht miteinander vergleichen, Vasco da Volta war ein Ehrenmann, den die Garimpeiros achteten und schätzten.
Von Joao Derecca konnte man das nicht behaupten. Er war ein widerlicher Parasit, der den ganzen Tag auf der faulen Haut lag. Ein Zuhälter war er, der seine Schwester Saboa gewissenlos verkuppelte.
Wenn ich stark genug wäre, würde ich Joao erschlagen wie diese Schlange gestern, dachte Nico Vega grimmig. Er betastete sein Gesicht. Es war immer noch geschwollen, und seine Schneidezähne wackelten. Dabei mußte er froh sein, daß sie ihm Joao nicht ausgeschlagen hatte.
Er haßte Derecca.
Saboa haßte er nicht. Sie war strohdumm. Aber sie tat nicht nur deshalb alles, was Joao wollte. Sie hatte vor allem Angst vor ihm, denn wenn sie nicht gehorchte, schlug ihr Bruder sie wie einen Mann.
Nico Vega kochte sich starken Kaffee zum Frühstück. Er holte aus der Lade einer wackeligen Kommode einen Spiegelscherben und betrachtete sein Gesicht darin. Er erkannte sich selbst kaum wieder, und ihn packte eine kalte Wut. Es schrie nach Vergeltung in ihm, doch er verließ seine Hütte nicht. Joao Derecca würde seine Strafe bekommen… von Kogora!
»Sie wird kommen und von dieser Siedlung Besitz ergreifen«, murmelte Nico Vega nach dem kärglichen Frühstück, das er vorsichtig essen mußte, weil er schlecht beißen konnte und die Kinnlade ihn schmerzte. »Keiner wird am Leben bleiben! Wer sich nicht rechtzeitig absetzt, sitzt in Kogoras Falle!«
Er packte seine Siebensachen zusammen.
Es war ein weiter Weg bis nach Belém. Er würde lange unterwegs sein. Auf dem Wasser, wenn ihn ein Schiff mitnahm, per Anhalter, zu Fuß.
Voller Hoffnung war er in den Urwald gegangen. Ohne Hoffnung würde er nach Belém zurückkehren. Ein enttäuschter, gebrochener Mann, der froh sein mußte, das Leben behalten zu haben.
Er war Joao gegenüber nicht immer ehrlich gewesen, und auch Saboa hatte er nicht erzählt, wenn er
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