115 - Die Herrin des Sumpfes
mir.
»Das merkt man.«
»Aber keine Sorge, ich schaff’ das schon«, beruhigte mich Pablo Jamanez.
Und wenn nicht, krachen wir in den Wald, dachte ich.
Der Pilot trampelte ganz schön auf meinen Nerven herum. Er ließ die Maschine bis zum allerletzten Moment auf dem Boden. Wollte er testen, wann ich in Panik geriet? Nun, es war schon fast soweit. Endlich bewegte er das Steuerhorn. Er zog es hart auf sich zu, und wir bekamen mehr Luft unter die Tragflächen. Aber würde der Auftrieb reichen? Vor uns ragte der Wald auf - eine braungrüne Wand, unüberwindbar, feindselig.
Allmählich schien auch Jamanez’ Vertrauen zur Maschine abzublättern. Seine Züge strafften sich, und er hielt den Atem an. Das Flugzeug bog sich verzweifelt hoch, und ich rechnete damit, daß wir zumindestens die Wipfel streifen würden. Auch das genügte für einen Absturz. Ein unrühmliches Ende für einen Flug, der noch nicht einmal richtig begonnen hatte.
Ich konnte jedes einzelne Blatt erkennen, und ich war versucht, die Füße zu heben, als wir haarscharf über die Baumspitze wischten.
»Sehen Sie! Geschafft!« tönte der Pilot.
Aber er war bestimmt genauso überrascht wie wir, daß uns der Absturz erspart geblieben war.
Ich sah den Rio Negro unter uns. Etwa 18 Kilometer von hier mündete er in den Amazonas. Pablo Jamanez flog einen weiten Bogen, und wenig später glitzerte das breite Band des größten Stroms der Erde unter uns - und die Wildnis umsäumte ihn.
Jene Wildnis, in die sich Rian X. Goddard aus lauter Verzweiflung zurückgezogen hatte.
***
Ian Wayne ließ das Werkzeug dort, wo er es brauchte. Mit leeren Händen kehrte er zu den Hütten zurück. Er wußte, daß Nico Vega die Siedlung verlassen wollte und daß er das nicht zulassen durfte.
Wer geht, muß sterben, dachte der Amerikaner. Das besorge ich - und Kogora schnappt sich die frei gewordene Energie, die sie für ihre Reinkarnation braucht. Wieviel Lebenskraft wird sie benötigen, damit wieder Fleisch an ihre Knochen kommt?
Der fette, bärtige Manolo Pelo trat aus seiner Hütte - rundum zufrieden. Saboa hatte ihm zu dieser Zufriedenheit verholfen. Sie erschien auch, und Pelo kniff sie grinsend in den Po. Solange er Joaos Bedingungen erfüllte, gehörte das Mädchen ihm.
Wayne blieb vor Nico Vegas Hütte stehen. Hoffentlich ist er noch nicht weg, dachte er, und sein Mund trocknete aus. Kogora könnte denken, er habe versagt.
Rasch näherte er sich dem Hütteneingang. Mit einer schnellen Handbewegung fegte er die Decke zur Seite.
Nico kniete vor dem Gasherd. Jetzt wandte er sich erschrocken um, und Wayne hatte den Verdacht, der Brasilianer würde etwas vor ihm verbergen, aber das interessierte ihn nicht. Ihm war nur wichtig, daß sich Nico noch nicht abgesetzt hatte.
»Hast du immer noch vor, uns zu verlassen?« fragte der Amerikaner.
Nico Vega ließ etwas in seinem Hend verschwinden und erhob sich.
»Ja«, antwortete er, »und du würdest gut daran tun, es mir nachzumachen. Ich habe Kogora gesehen. Ihr Gesicht war in meiner Pfanne, und dann verwandelte sie das Wasser in Blut. Ich sage dir, die Sumpfhexe hat mit den Garimpeiros Schreckliches vor.«
»Ich habe keine Angst vor ihr«, sagte Wayne und zuckte mit den Schultern.
Das stimmte. Er brauchte Kogora nicht zu fürchten - nicht, solange er ihr gehorchte.
»Du denkst, du bist ihr gewachsen, weil du ein großer, kräftiger Kerl bist. Aber ich sage dir, du bist ein kleines, unscheinbares Licht gegen dieses Weib. Was kannst du gegen Hexenkräfte nusrichten, he?«
»Ich bleibe trotzdem.«
»Dann sei der Himmel deiner Seele gnädig«, sagte Nico.
»Wann brichst du auf?« erkundigte sich der Amerikaner.
»Warum fragst du?«
»Ich habe etwas zu besorgen, muß in den Laden flußabwärts. Wir könnten ein Stück miteinander gehen - wenn du nichts gegen meine Begleitung hast.«
»Durchaus nicht. Du warst mir von Anfang an sympathisch.«
Wayne grinste. »Du mir auch. Du vorläßt die Siedlung also nicht ohne mich.«
Vega versprach es ihm, und Wayno war damit zufrieden.
Vasco da Volta, der Capo, hatte den Kompressor angeworfen, und vier kräftige Garimpeiros standen bereits wieder an den Wasserschläuchen, die nur mit ganzem Krafteinsatz zu bändigen waren. Ließ man sie los, dann peitschten sie wie wild gewordene Riesenschlangen hin und her. Der enorme Wasserdruck machte sie gefährlich. Es war schon mal ein Garimpeiro von einem solchen Schlauch erschlagen worden. Sein Grab befand sich nicht weit von hier
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