115 - Die Herrin des Sumpfes
etwa in der Mitte des Flusses, und der Pilot machte uns auf die Alligatoren aufmerksam, die dort in der Sonne lagen; reglos wie angeschwemmte Baumstämme. Aber sie wären verdammt lebendig geworden, wenn jemand den Wahnwitz besessen hätte, im Fluß ein kühles Bad zu nehmen. Er hätte sich zum letztenmal erfrischt.
Saß dort im Sand nicht jemand?
Ein Mensch!
Eine Frau!
Tatsächlich, es war eine Frau. Jetzt erhob sie sich, und die Alligatoren ließen sie in Ruhe. Ich dachte, nicht richtig zu sehen. Die Frau war bekleidet, doch ihr Trägerkleid war an einigen Stellen zerrissen. Was hielt die Tiere davon ab, sie sich zu holen?
Egal, was es war - wir mußten ihr helfen.
»Kehren Sie um!« schrie ich. »Wir müssen doch bei den Garimpeiros runter.«
»Den Teufel werden wir!«
»Diese Frau braucht Hilfe! Wer weiß, wie lange sie schon auf dieser Sandbank festsitzt«, rief ich. »Nun machen Sie schon, Pablo! Kehren Sie um! Haben Sie Angst vor der Landung? Sie haben das doch schon ein paarmal geschafft. Inzwischen ist die Piste bestimmt nicht schmäler geworden. Sagten Sie nicht gestern, Sie wären der beste Pilot Brasiliens?«
»Da habe ich vielleicht ein bißchen zu dick aufgetragen, aber ich bin ganz bestimmt nicht der verrückteste Pilot dieses Landes. Diese Frau braucht garantiert keine Hilfe. Wenn jemand Hilfe nötig hat, dann sind wir das, denn das dort unten ist keine Frau.«
»Ich weiß doch, was ich sehe.«
»Das ist ein Geist!« schrie Jamanez. »Der Geist der Sumpfhexe Kogora!«
»Verdammt, Tony, er hat recht!« stieß Mr. Silver aufgeregt hervor, und dann sah auch ich den Beweis: Die Hände der Hexe fingen an zu qualmen. Von Kogoras Handflächen stiegen rußige Dämpfe, dunkelgraue Schwaden hoch.
Kogora hob die Hände, so daß die Handflächen uns zugewandt waren, und die Schwaden stiegen hoch, dem Flugzeug entgegen. Zauberkraft beschleunigte sie. Der Motor der Robin Kavalier Regent fing an zu stottern, und als ich den Kopf wandte, um den Piloten anzusehen, stellte ich voller Entsetzen fest, daß Pablo Jamanez keinen Kopf mehr hatte.
Vielleicht konnte ich ihn auch nur nicht sehen, weil ihn dichter schwarzer Rauch umhüllte.
Der Pilot brüllte. Er ließ das Steuerhorn los und wollte sich den Rauch vom Gesicht wedeln, indem er mit beiden Händen rasche Bewegungen vollführte.
»Ich sehe nichts!« schrie er. »Ich bin blind! Hilfe! H-i-l-f-e!«
Die Maschine ließ die linke Tragfläche hängen und nahm die Schnauze nach unten. Das war mehr als kritisch, und Jamanez konnte nichts mehr tun. Da ich mich aufs Pilotieren verstehe, versuchte ich rettend einzugreifen, aber Jamanez war mir im Weg. Außerdem schlug er wie von Sinnen um sich. Als würde seinen Kopf ein Hornissenschwarm umkreisen.
Silberpartikel schwirrten zwischen Mr. Silvers Handflächen hin und her. Er hatte ein magisches Kraftfeld geschaffen, und damit rückte er dem Hexenrauch zuleibe. Als sich Jamanez’ Kopf zwischen Mr. Silvers Händen befand, war der Rauch plötzlich nicht mehr da. Der Pilot konnte wieder sehen - und er sah, wie wir auf die Kronen der mächtigen Urwaldriesen zurasten.
Ich bekam alles mit grausamer Deutlichkeit mit.
Wie in Zeitlupe!
Diesmal schaffen wir es nicht! schrie es in mir. Der Propeller fraß sich in die Krone eines Baumes, quirlte Blätter hoch und schlug Äste ab. Dickere Äste stoppten ihn schließlich. Wir wurden nach vorn gerissen, und neben mir brach die rechte Tragfläche ab. Das Heck sackte nach unten, schwang gegen den Baumstamm, und um uns herum war ein schreckliches Knirschen und Kreisen. Ich glaube, wir überschlugen uns, machten einen Salto rückwärts. Auf jeden Fall ging es mit uns ziemlich rasant abwärts. Ich bekam noch den Aufprall mit… dann wurde mir schwarz vor den Augen.
Das letzte, was ich dachte, war: Hoffentlich entzündet sich nicht das Kerosin!
***
Kogora entblößte große, kräftige Zähne und stieß ein widerliches Lachen aus, und als sie sich in Bewegung setzte, zogen sich die Alligatoren ängstlich zurück.
»Ich bin die Herrin des Sumpfes und des Urwalds!« sagte sie. »Selbst Flugzeuge sind vor mir nicht sicher!«
Sie erreichte das Wasser. Die Alligatoren machten Platz. Einige schwammen davon, dorthin, wo das Flugzeug abgestürzt war. Kogoras nackte Füße berührten die Wasseroberfläche. Sie tauchten geringfügig ein - nur bis zu den Knöcheln, nicht tiefer, obwohl der Fluß mit jedem Schritt an Tiefe zunahm.
Kogora ging über das Wasser!
Und von ihren Händen
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