115 - Die Herrin des Sumpfes
stieg immer noch Rauch hoch, aber er wurde allmählich schwächer.
Sie erreichte das Ufer. Vögel flogen kreischend auf und suchten furchtsam das Weite. Die Tiere hatten die bessere Antenne für Gefahren. Wäre es nicht so gewesen, dann hätten die Garimpeiros schon längst ihre Siedlung verlassen, doch sie blieben. Die Gier nach dem Gold hatte sie blind und taub gemacht.
Nur einer hatte begriffen: Nico Vega, Doch es war dafür gesorgt, daß auch er blieb…
***
Vasco da Volta war vor seine Hütte getreten, als er das Brummen des Flugzeugs gehört hatte. Es wurde keine Sendung erwartet. Die nächste Versorgungsmaschine würde erst Anfang nächster Woche kommen. Da Volta hob die Hand und schirmte die Augen ab. Niemand hier wußte, daß er ein entsprungener Häftling war; nicht einmal seiner Geliebten hatte er es anvertraut. Es ging niemanden etwas an, war ganz allein seine Sache. Er hatte damals sehr viel Glück gehabt. Manchmal träumte er von seiner waghalsigen Flucht, und dann wälzte er sich im Bett atemlos hin und her und war in Schweiß gebadet. Wenn Nelcina ihn weckte und fragte, was los sei, schnauzte er sie an, sie solle sich um ihren eigenen Kram kümmern. Sie fragte schon lange nicht mehr.
Sie hatten ihn mit Hunden gehetzt, mit Schnellfeuergewehren auf ihn geschossen, wollten ihn um jeden Preis wiederhaben - tot oder lebend -, denn er war ein Mörder.
Er hatte ein tiefes Gewässer durchschwommen, das von Piranhas verseucht gewesen war. Die kleinste Schramme hätte genügt, dann hätten die Fische sein Blut gerochen und wären mit ihren messerscharfen Zähnen über ihn hergefallen. Sie hätten nichts von ihm übriggelassen.
Wie gesagt, er hatte Glück gehabt.
Er, der Mörder.
Der unschuldige Mörder!
Denn man hatte ihn für eine Tat verurteilt, die er nicht begangen hatte. Jemand hatte seinen Freund erstochen, und er hatte den Freund gefunden - mit einem Messer im Rücken. Er hatte das Messer herausgezogen, und da waren plötzlich ein Mann und eine Frau gewesen, die ihn gesehen hatten… über die Leiche gebeugt, die Tatwaffe in der Hand. Und weil er kurz zuvor mit dem Freund einen Streit gehabt hatte, war für das Gericht alles klar gewesen…
Zuchthaus.
Lebenslänglich.
Nicht mit mir, hatte sich Vasco da Volta geagt, und er hatte von dem Tag an, wo sich die Gefängnistore hinter ihm polternd schlossen, auf seine Chance gewartet. Es wäre ihm niemals möglich gewesen, seine Unschuld zu beweisen. Der wahre Mörder seines Freundes hätte sich stellen müssen, aber mit diesem Wunder rechnete da Volta nicht. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, sagte er sich, und als die Gelegenheit günstig war, machte er die Fliege.
Der Urwald nahm ihn auf wie ein barmherziger Freund, und er hatte aus seinem Leben das Beste gemacht. Er war heute jemand in dieser Siedlung. Die Garimpeiros versuchten gut mit ihm auszukommen, legten Wert auf seinen Rat, denn er war ein alter Hase und ein schlauer Fuchs.
Nelcina sah ganz manierlich aus, war reinlich und arbeitsam. Er hatte sie aus einem Bordell geholt. Vierzehn Tage war sie erst da gewesen, und wahrscheinlich wäre sie vor die Hunde gegangen, wenn er sie nicht mitgenommen hätte. Seither lebten sie zusammen - wie Mann und Frau. Aber sie würden nie heiraten; das war in dieser Wildnis nicht nötig. Wer brauchte im Urwald einen Trauschein? Die Garimpeiros wußten auch so, daß Nelcina zum Capo gehörte.
Das Flugzeug brauste über die Hütten, und Vasco da Volta ließ die Hand sinken. »Ich glaube, das war Pablo Jamanez«, sagte er zu Nelcina. »Erinnerst du dich noch an Pablo? Das ist der, der immer über unsere schmale Piste gejammert hat. Er ist der lausigste Pilot Brasiliens. Mich wundert, daß er immer noch lebt. Seine Maschine ist andauernd defekt, und obwohl er nichts davon versteht, repariert er sie fast immer selbst. Irgendwann wird ihm der Propeller mitten im Flug davonfliegen.«
Er wollte in die Hütte zurückkehren, da vernahm er ein fernes Krachen und Splittern.
Nelcina bekreuzigte sich blitzschnell, und sie sah Vasco da Volta mit ihren großen dunklen Augen entsetzt an. »Das hättest du nicht sagen sollen, Vasco.«
»Ich glaube fast, du hast recht«, gab der Capo schuldbewußt zurück.
Auch die Garimpeiros hatten die Absturzgeräusche gehört. Sie stellten die Arbeit ein, sahen einander an und blickten dann in die Richtung, wo das Unglück passiert war.
Der Capo rief den Namen des Mannes, der ihm am nächsten war. »Manolo! Komm! Wir müssen
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