1154 - Dämonen-Trauer
Freund Raniel sein. Ich wäre mir lächerlich vorgekommen, hätte ich seinen Namen gerufen.
Wenn er etwas von mir wollte, würde er sich schon zeigen.
Als eine Minute vergangen war und sich noch nichts getan hatte, machte ich mich auf den Weg zum Kahn. Wenn Raniel wirklich hier auf der Insel war, sollte er sich endlich zeigen.
Der Trick klappte.
Ich hatte noch nicht die Hälfte der Strecke hinter mir, als der Gerechte erschien. Er kam aus den Sträuchern hervor. Wie immer war er in einen dunklen Umhang gehüllt. Wie immer wuchs sein ebenfalls dunkles Haar lang zum Nacken hinab, und wie immer lagen leichte Schatten auf seinem hellen Gesicht wie ein schwacher Bartwuchs auf den Wangen.
»Auf dich habe ich gewartet«, sagte ich.
»Das dachte ich mir, John.«
»Wie schön.« Ich verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. »Dabei denke ich, dass du mir einiges erklären solltest, denn was hier passiert ist, hat selbst mich erstaunt.«
»Das ist mir bekannt.«
»Und du hast mich als deinen Helfer vorgeschickt.«
Er ging auf meinen Ton nicht ein und lächelte sogar. »Was macht dich so aggressiv, John?«
»Alles. Ich weiß allmählich nicht mehr, woran ich bin. Würdest du da nicht auch aggressiv werden?«
»In gewisser Weise schon. Aber wir beide kennen uns schon lange. Du solltest wissen, dass es für uns beide nichts gibt, was keinen bestimmten Grund hat.«
»Sehr richtig, Raniel. So weit bin ich mit meiner Denke auch gekommen. Dann aber hakt es.«
»Du hast es geschafft.«
»Dein Ratschlag war gut. Ich habe mich daran erinnert. Doch das ist jetzt vorbei.«
»Alles klar.« Er blieb dicht vor mir stehen und legte mir eine Hand auf die Schulter. Seine Stimme klang sehr ernst, als er sagte: »Es ist möglicherweise nur der Anfang. Ich möchte, dass du Bescheid weißt, John, was uns bevorstehen könnte.«
»›Uns‹ hört sich schon besser an.«
Ohne näher auf irgendwelche Details einzugehen, wechselte der Gerechte das Thema. »Wo liegt oder steht er?«
»Er liegt.«
»Dann zeig ihn mir.«
»Kein Problem.« Ich ging vor. Noch immer ärgerte ich mich, aber ich wusste auch, dass ich bei Geschöpfen wie Raniel eine gewisse Geduld haben musste. Bei ihm durfte man nichts überstürzen.
Er ging zumeist in der Zwischenwelt seiner Aufgabe nach und war zugleich auch Hüter des Jungen Elohim, seinem Sohn, den er mit Lilith, einer Hexe gezeugt hatte.
Ich hörte ihn hinter mir gehen wie jeden normalen Menschen auch. Da konnte man sich kaum vorstellen, dass er auch in der Lage war, wie ein Engel zu schweben. Eine derartige Kraft wünschte ich mir auch manchmal. Da hätte ich viele Probleme besser lösen können.
Die versteinerte Gestalt lag noch immer dort, wo sie hingefallen war. Wir blieben vor ihr stehen und schauten auf sie nieder. Die folgenden Sekunden liefen in tiefer Stille ab, bis Raniel einmal um ihn herumging, dabei den Blick nach unten gerichtet hielt und einige Male nickte.
»Das hast du gut gemacht, John.« Er lachte. »Ich habe mich nicht in dir getäuscht.«
»Wie nett. Nur kam ich mir vor wie die Medusa. Er wurde plötzlich zu Stein.«
»Durch dein Kreuz?«
»Bestimmt habe ich es nicht mit den eigenen Händen geschafft, wie du dir denken kannst. Okay, dann mal raus mit der Sprache. Wer oder was ist diese zu Stein gewordene Gestalt. Gehört sie zu dir? Ist sie ein Engel? Ein Dämon? Oder ein Wesen dazwischen?«
Raniel zuckte mit den Schultern. Er tat so, als hätte er mich nicht richtig verstanden. »Weißt du, John, das ist nicht einfach zu erklären, und das sage ich nicht nur so. Es ist einfach ein Problem. Eine genaue Antwort ist da schwer zu geben. Was er ist, das steht, da bin ich ehrlich, nicht so genau fest.«
Damit wollte ich mich nicht abfinden. »Kann ich das mit dir vergleichen?«
»Sei nicht albern.«
»Warum?« Ich schaute ihn beinahe naiv an. »Auch aus dir bin ich nicht richtig schlau geworden. Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch heute noch damit meine Probleme.«
Der Gerechte ging darauf nicht ein. Er ließ seinen Blick über die liegende Gestalt des Versteinerten wandern.
Ich spürte in mir die innere Unruhe. »Rede schon, Raniel. Alles andere wäre unfair. Schließlich hast du mich auf diese Insel gelockt. Okay, ich habe mir noch nicht die Nacht um die Ohren geschlagen, aber als nicht Eingeweihter hier zu stehen, finde ich alles andere als gut.«
»Das weiß ich auch.«
»Wie schön. Immerhin ein Fortschritt.« Ich wurde allmählich sauer und schaute ihn von der
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