1154 - Dämonen-Trauer
schaffte es zudem nicht mehr, sich zu bewegen.
In der unnatürlichen Haltung und mit den hochgerissenen und leicht angezogenen Armen war er stehen geblieben, ohne auch nur die Chance zu haben, sich befreien zu können.
Wenn er Schmerzen hatte oder irgendwie litt, gab er es zumindest nicht bekannt. Er stöhnte nicht, er flehte auch nicht um Hilfe, er kam einfach nicht mehr weiter.
Das zu beobachten war ein Phänomen. Und noch etwas anderes passierte mit Ben Adams. Er merkte, dass sich seine eigene Furcht immer mehr zurückzog. Plötzlich hatte er keine Angst mehr davor, hier auf dem Friedhof sein Leben zu verlieren. Eine gewisse Neugierde und Spannung hatten ihn erfasst, und er hatte Mühe, sein Zittern zu unterdrücken.
Zunächst geschah nichts.
Die Gestalt in der schmutzigweißen Kutte wurde weiterhin festgehalten, den Körper zurückgelegt, die Arme erhoben, leicht eingeknickt, das Gesicht starr.
Dann aber bewegte sich die Schwärze weiter. Sie war wirklich wie ein starkes Gift, das sich durch nichts aufhalten ließ. Zuerst war nur das Zucken oder Huschen zu sehen gewesen, dann konnte Adams zuschauen, wie sich die Masse über den Boden hinweg ausbreitete, wobei er gar nicht den Eindruck hatte, dass es sich um eine Masse handelte. Zumindest keine, die irgendwie fest war und mit einem Schleim oder einer öligen Flüssigkeit verglichen werden konnte. Es war einfach ein pechschwarzer Nebel, der nach eigenen Gesetzen regierte und sich durch nichts aufhalten ließ.
Wichtig war sein Feind!
Er kroch weiter. Er war böse. Er war ein Monstrum. Er schnappte zu, ohne dass etwas zu hören war.
Ben schoss der Vergleich mit einem lautlosen Töter durch den Kopf. Er hatte Ähnliches noch nie zuvor gesehen und schaute nun zu, wie es weiterging und die Gestalt in der Kutte immer mehr verschwand.
Adams vergaß seine eigenen Schmerzen. Was sich seinen Augen bot, war unerklärlich für ihn. Die schwarze Nebelmasse war dabei, die Gestalt zu schlucken oder zu fressen.
Aber nicht einfach schnapp und weg. Nein, das geschah subtiler- und auch unheimlicher. Der Reihe nach verschwanden die einzelnen Körperglieder.
Es ging bei den nackten Füßen an, um die sich die lichtlose Masse drehte. Sie kroch an den Beinen hoch, und plötzlich war ein Viertel des Körpers verschwunden, als hätte er sich innerhalb weniger Sekunden völlig aufgelöst.
Das war auch so. Er hatte sich aufgelöst. Und dieser Vorgang war nicht zu stoppen. Er setzte sich mit einer schon angsteinflößenden Intensität fort. Die schwarze Masse ließ den Körper einfach nicht los. Sie glitt an ihm hoch. Sie drehte sich dabei und bildete immer wieder dichte Spiralen, die aus zahlreichen Mäulern zu bestehen schienen. Weiter und höher drehte sich die Masse, die dann die Form eines breiten Korkenziehers angenommen hatte.
Der Reihe nach verschwanden die Teile des Körpers. Stück für Stück wurde geschluckt. Der Kuttenmann hatte seine Beine bereits verloren. Es gab ihn nur noch von der Hüfte an aufwärts, und auch das war für den einsamen Zuschauer kaum zu fassen. Da schwebten ein Oberkörper und ein Kopf in der Luft, wobei es aussah, als würden sie von der dichten Masse gehalten.
Ben Adams suchte das Gesicht des anderen. Er musste und wollte sich darauf konzentrieren und auch herausfinden, ob dieses Wesen Schmerzen empfand wie ein normaler Mensch. Wenn ja, hätte sich dieser Vorgang auf seinen Zügen widerspiegeln müssen.
Er sah dort keine Veränderung. Vielleicht war es auch zu dunkel. Oder der andere war einfach nicht in der Lage, die normalen Schmerzen eines Menschen zu empfinden. Das schien ihm eher der Fall zu sein.
Jedenfalls kroch die dunkle Masse höher, und es gab auch keine Chance, sie aufzuhalten. Für Ben war sie noch immer ein grauenhaftes Gebilde. Etwas Teuflisches, das die Tiefen des Friedhofs verlassen hatte und womöglich durch die hier unten liegenden und längst vermoderten Leichen produziert worden war.
Da schoss ihm vieles durch den Kopf, ohne dass er eine Erklärung gefunden hätte. Für ihn war die Realität auf den Kopf gestellt worden.
Es gab kein Geräusch. Kein Knacken, auch kein Rascheln, und das Opfer selbst war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Es konnte den Schmerz einfach nicht herauslassen, und es kam Adams wieder in den Sinn, dass er es hier nicht mit einem Menschen zu tun hatte. Diese Person war etwas aus dem Totenreich. Eine verlorene Seele, die sich bemerkbar gemacht hatte.
Die Schwärze stieg weiter. Sie fraß alles.
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