1155 - Luzifers große Stunde
es rieselte kein Regen hervor. Dafür war der Wind kalt, der aus nordwestlicher Richtung wehte.
Die Insel war nicht zu sehen. Nach wie vor lag sie unter der dunklen Glocke. Und sie schwieg. Kein fremder Laut, keine Stimme, kein Schrei, auch nicht das Geräusch des Kampfes. Die Nacht und die Schwärze hielten alles zurück.
Suko kämpfte sich weiter durch das verdammt kalte Wasser. Manchmal klatschten Spritzer in sein Gesicht. Dann spürte er die Tropfen auf den Lippen, aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sich zu drehen und wieder zum Ufer zurückzugehen.
Um ihn herum schmatzte und gurgelte es. Heller Schaum vermischte sich mit dunklem Wasser, und auch am Grund war so mancher Strudel zu spüren, der an seinen Beinen zerrte.
Er fror. Es war verdammt kalt. Zu lange durfte Suko sich bei diesen Temperaturen nicht im Wasser aufhalten. Er machte weiter. Die Sorge um seinen Freund war für ihn Antrieb genug. Ihm ging auch das Gefühl dafür verloren, wo er sich überhaupt befand. Er hätte sich ebenso gut durch den Dschungel schieben können, als sich hier an der Themse aufzuhalten. Die Dunkelheit machte alles gleich, und die rauschenden und schmatzenden Laute hörten sich woanders ebenso an.
Plötzlich sah er etwas.
Vom Rand der nicht mehr weit liegenden Insel trieb es auf ihn zu, als wäre es von der lichtlosen Schwärze einfach ausgespuckt worden.
Der Gegenstand bewegte sich schaukelnd auf der Oberfläche. Er sah aus wie ein Brett oder rein kurzer Stamm. Er trieb auf dem Wasser, verschwand mal darin, wurde wieder in die Höhe gedrückt und setzte seinen Weg fort.
Suko hatte gedacht, dass er direkt auf ihn zutreiben würde. Da irrte er sich. Er wäre an ihm vorbeigeglitten, aber das konnte der Inspektor nicht zulassen.
Es war kein Brett und auch kein Stamm. Es war ein auf dem Rücken liegender Mensch, und den kannte Suko verdammt gut. Die Schwärze hatte Raniel ausgespien. Sie wollte ihn nicht. Sie hatte ihn den Kräften des Flussarms überlassen. Er selbst war nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen.
Als Suko seinen ersten Schreck überwunden hatte, vergaß er auch die Insel. Jetzt war es für ihn wichtig, sich um Raniel zu kümmern.
Der Gerechte wäre an ihm vorbeigetrieben, wenn Suko ihn nicht abgefangen hätte.
Am Bein bekam er Raniel zu fassen. Seine Hand umklammerte den Stoff, und mit einer heftigen Bewegung zerrte er den Mann zu sich heran, damit ihn die Strömung nicht mehr abtreiben konnte.
Raniel schwappte auf ihn zu. Beide stießen zusammen, und Suko sorgte dafür, dass sein Kopf über der Wasserfläche blieb. Raniel war kein normaler Mensch. Man konnte ihn als eine Mischung aus Mensch und Engel ansehen. Suko stellte sich die Frage, was er aushielt. Wie er sich gab. Mensch oder. Engel. Konnten Engel ertrinken? Wohl nicht, aber im Einsatz gegen Luzifer war alles möglich. Er hatte Raniel ja gesehen, wie er von der verdammten Schwärze abgestoßen worden war.
Seine erste Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Das Gesicht und auch der Körper zeigten keine Brandspuren. Er war also nicht in das Höllenfeuer hineingeraten.
Der Zufall hatte Suko an eine Stelle gebracht, die nicht so tief war. Er hatte den Eindruck, auf einer kleinen Sandbank zu stehen, zumindest leicht erhöht. Er hob den Körper des Leblosen leicht an und sorgte immer dafür, dass der Kopf über Wasser blieb.
Raniels Gesicht war nie besonders gerötet gewesen, aber so blass, nass und bleich wie jetzt hatte Suko es noch nie gesehen. Es schien nicht mehr einem Menschen zu gehören, sondern einer Leiche, die lange im Fluss gelegen hatte.
War er tot?
Konnten Wesen zwischen Mensch und Engel überhaupt sterben?
In diesen Momenten wünschte Suko sich, dass sie unsterblich waren. Er stand im Wasser und tat das einzig Richtige. Durch Schläge gegen die Wangen versuchte er, Raniel aus seinem Zustand hervorzuholen, falls er noch lebte.
Es klappte.
Raniels Mund zuckte. Dann öffnete er die Augen, und es waren die Augen eines Menschen und nicht die eines Engels. Er schaute, er sah Suko, er versuchte, sich zu erinnern und zu begreifen. Erst als Suko Raniels Stöhnen hörte, atmete er auf und lächelte.
»Kannst du stehen?«
»Ja, ich versuche es.«
Suko half ihm. Er drückte den Körper nach unten und hielt den Gerechten sicherheitshalber fest, bis er wusste, dass er den richtigen Stand gefunden hatte und auch nicht von der leichten Strömung von den Beinen gerissen werden konnte.
Das Wasser rann dem Gerechten aus den Haaren und
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