1155 - Luzifers große Stunde
fand seinen Weg über das Gesicht. Raniel erinnerte jetzt mehr an eine Puppe als an einen Menschen. Suko konzentrierte sich auf das Gesicht des Freundes, dessen Blässe ihn noch immer erschreckte. Aber der Gerechte lebte, alles andere war jetzt zweitrangig, abgesehen von John Sinclair.
Ihm galt Sukos erste Frage. »Hast du John gesehen?«
Raniel musste ihn gehört haben, doch er war noch nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Er schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ich meine John - John Sinclair. Du hast es doch bis zu dieser verdammten Insel geschafft.«
Der Gerechte drehte sich langsam um. Erst jetzt musste bei ihm die Erinnerung zurückkehren. Suko sah, wie er nickte und dabei zur Insel schaute.
»John…«
»Ja, John!« Suko war aufgeregt wie selten. Er wartete auf eine konkrete Antwort.
Raniel hatte seine Probleme. »Ich… ich… habe ihn gespürt, das schon. Er war auch da. Er… Ich konnte ihn nicht sehen, Suko. Es war so anders. Ich habe eine mörderische Mauer erlebt, an der ich nicht vorbeikonnte. Es war nicht möglich. Die andere Kraft hat mich zurückgeschlagen.«
»Luzifer, nicht wahr?«
»Die Kälte, das Gesicht. Augen, das Feuer. Ich wäre als Mensch wohl verbrannt, aber so…«
Seine Worte versickerten, und Suko hatte eigentlich auch genug gehört. Er war dabei nicht optimistischer geworden. Was Raniel nicht geschafft hatte, das würde er auch nicht schaffen. Nicht mit seinen Kräften und auch nicht mit den Waffen. Er besaß die Dämonenpeitsche und das Schwert des Salomo. Was waren sie schon gegen die Macht des Luzifer?
Dennoch. Kein Rückzug. Er würde hingehen. Er musste es einfach. Sein Gewissen und sein Pflichtbewusstsein trieben ihn voran. Beide waren wie eine Peitsche, deren Riemen stets auf ihn niederschlugen und ihm einhämmerten, den Freund nicht im Stich zu lassen.
Raniel war noch etwas weggetreten, aber Suko konnte ihn auch nicht länger stützen.
»Kannst du dich allein zum Ufer hin bewegen?«
»Das muss ich wohl.«
»Glaube ich auch.«
»Du willst hin?«
Suko nickte.
Raniel schüttelte den Kopf. »Du wirst nichts erreichen. Ich habe es auch nicht geschafft. Er war einmal ein Engel, doch er hat die Seitengewechselt. Seine Kraft ist nach wie vor da. Du wirst dir so klein vorkommen wie die Mücke, die gegen den Elefanten ankämpft.«
»Ich gebe John nicht auf!«
»Das sollst du auch nicht. Ich wollte dir nur sagen, was dich erwartet. Ich bin schwach geworden. Ich wäre beinahe ertrunken. Er raubte mir durch den Angriff blitzschnell einen Teil meiner Kräfte. Hast du die Flammen gesehen?«
»Natürlich.«
»Hüte dich vor ihnen. Sie sind eine Waffe. Sie beherrschen dich. Sie sind einfach nur grausam.«
»Ich komme durch. Ich kann meinen Freund nicht allein lassen. Er hätte für mich das Gleiche getan.« Es war Suko völlig klar, auf was er sich da einließ, aber auch zehn Pferde hätten ihn nicht zurückhalten können.
Eine kurze Drehung, dann ließ er den Gerechten allein. Es konnte sein, dass er ihm folgte, aber Suko wäre es am liebsten gewesen, wenn sich Raniel bis an das Ufer zurückgezogen hätte. So wie hier im Wasser hatte er diese mächtige Gestalt noch nie erlebt. Er hätte überhaupt nicht damit gerechnet, dass sie einmal so stark degradiert werden würde.
Wieder nahm er den Kampf mit dem Fluss auf. Auf Grund der Unterhaltung mit Raniel hatte er für eine Weile still gestanden und sich so gut wie nicht bewegt. Das machte sich jetzt bemerkbar. Die Kälte des Wassers hatte sich in seinen Körper hineingefressen und für eine starke Unterkühlung gesorgt. Es fiel ihm schwer, die Schritte zu gehen, denn auch der weiche Grund kam ihm manchmal vor wie eine Klammer, die seine Füße nicht loslassen wollten.
Die pechschwarze Haube deckte alles ab. Kein Licht, keine Durchsicht. Völlige Finsternis. Gewebt aus unzähligen kleinen Teilchen, die eine Welt für sich bildeten.
Suko wollte nicht daran denken, was passieren konnte. Es gab einfach nur den Weg nach vorn. Die Insel. Er musste hin. Er wollte die Finsternis durchbrechen, und er merkte schon, dass er in ihre Nähe geriet und wer dort herrschte.
Eine andere Kälte drang auf ihn ein. Es war die Kälte einer Schwarzen Seele. Ohne Menschlichkeit.
Ohne irgendeine Spur von Gefühl. Eine Kälte, die deprimierte und veränderte. Sie war zugleich eine Warnung, auf die Suko nicht hörte.
Er blieb trotzdem stehen, um das Schwert des Salomo zu ziehen. Es war nicht leicht für ihn. Nicht nur, weil ihm das
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