1155 - Luzifers große Stunde
John. Er wollte alles. Aber er verlor. Und dabei hat er auch einen Teil seiner Kräfte eingebüßt. Aber das Böse ist immer noch stark genug, das weiß ich.«
»Stimmt, du gehörst selbst dazu.«
Wir vernahmen ein Lachen. »Jedenfalls freut es mich, dass ihr euch auf meine Seite gestellt habt. Es war nur gerecht.«
Das letzte Wort sorgte dafür, dass ich den Kopf nach rechts drehte und Raniel anschaute. »Stimmt das?« fragte ich.
Die Bemerkung des Spuks schien ihm nicht gefallen zu haben, sonst hätte er nicht sein Gesicht verzogen. »Manchmal gibt es eine Gerechtigkeit, die man relativieren muss.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen, um seine Unzufriedenheit auszudrücken. Ich stimmte ihm zu, und der Spuk bewies uns wenig später, dass er hier auf dem Friedhof und an alter Dämonen-Kampfstelle nichts mehr zu suchen hatte.
Er zog sich zurück, und es passierte auf seine Art und Weise. Die dichte Schwärze löste sich allmählich auf. Dabei wirkte die Umgebung, als würde sie von einem fettigen Film befreit. Allmählich erschienen die Grabsteine wieder deutlicher, und auch die Gräber traten klarer hervor. Bäume, Büsche, der Blumenschmuck auf manchen Gräbern, es war alles so wie wir es schon kannten.
Und wir sahen noch einen Menschen.
Es war Ben Adams. Er saß auf dem Grab. Noch immer drückte der hohe Stein gegen seinen Rücken.
Den Kopf hielt er gesenkt, die Hände vor das Gesicht geschlagen.
Diesmal sah er aus wie versteinert, doch wir sahen auch, dass er atmete. Das hätte für ihn auch tödlich enden können, aber er hatte überlebt, und das freute uns.
»Kümmerst du dich um ihn?«, fragte Suko.
»Ja.«
Es war keine kurze Distanz, die ich zu überwinden hatte. Vor ihm blieb ich stehen und bückte mich.
»Mr. Adams…«
Er zuckte nur zusammen.
»Bitte, Sie können jetzt aufstehen. Es ist alles vorbei. Kommen Sie, ich helfe Ihnen.«
Es vergingen einige Sekunden, bis er bereit war, sich von mir hochhelfen zu lassen. Ich fasste ihn am linken Arm an. Er hatte sich noch schwer gemacht und hielt die Augen geschlossen, wie ein Mensch, der nicht glauben kann, dass die Gefahr vorüber ist.
Als er stand, wischte er mit der freien Hand über sein Gesicht. Er tat es von oben nach unten, dabei öffnete er die Augen - und mir standen plötzlich die Haare zu Berge.
Zwei eiskalte, gefühllose und blaue Augen starrten mich mit dem Blick des Luzifer an!
***
Mein Kreuz hing vor der Brust. Mit einer Hand hielt ich noch das Schwert fest, und ich war praktisch kampfbereit, aber dieser plötzliche Blick hatte mich starr werden lassen.
Augen der Hölle!
Luzifers Geist war in den Körper des armen Ben Adams hineingefahren und hatte ihn übernommen.
Der Schock war für mich um so schlimmer, als ich hinter dem ersten Gesicht oder auch darin eingraviert noch ein zweites sah. Es war Luzifers eiskalte Fratze!
Im Gegensatz zu mir konnte sich der andere bewegen. Ich war nicht einmal fähig, einen Schrei auszustoßen. Ich spürte nur eine Hand an meinem rechten Handgelenk, und dieser Griff war nicht nur hart, er war auch brutal, als sollten mir die Knochen gebrochen werden.
Doch der Blick war am schlimmsten.
Dieses eisige Blau. Ohne einen Funken von Gefühl und Menschlichkeit. Ich konnte mich davon nicht lösen und merkte, wie ich allmählich in die Situation hineinrutschte wie auf dem Boot.
Es war die Stimme in meinem Kopf, die so sirrte, als würde jemand auf einer Rasierklinge spielen.
»Zuletzt gewinne ich!«
»Nein!«
Der Schrei gelang mir noch. Aber mein Schwert war ich los. Adams hob es an, um es mir in den Bauch zu stoßen, aber genau diese Zeitspanne war zu viel.
Etwas flog dicht an meinem Kopf vorbei. Hell, lang und auch tödlich. Nur nicht für mich, sondern für Adams, denn genau in seinen Kopf bohrte sich das gläserne Schwert des Gerechten.
Mich traf nichts mehr. Adams war auch nicht in der Lage, meine Waffe zu halten. Sie rutschte ihm aus der Hand und fiel zu Boden, während er gegen den Grabstein kippte.
Von seinem Gesicht war nicht mehr viel zu sehen. Die Klinge hatte es zerrissen. Aber sie hatte keinen Menschen zerrissen, sondern ein Monster mit menschlichem Aussehen, das jetzt zu Stein wurde.
Himmel, das war hautnah gewesen. Knapper als knapp. Meine Knie waren weich. Ich konnte nicht sprechen und mich auch nicht bei Raniel bedanken, als er zu mir kam und das Schwert an sich nahm.
»Irgendwo siegt die Gerechtigkeit immer, John? Oder wie siehst du das?«
»Nicht anders, Raniel, nicht
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