1155 - Luzifers große Stunde
mit ihr bekommen können, aber sie war kein Mensch. Und trotzdem wehte den Männern so etwas wie Wehmut entgegen. Die große Furcht vor dem Ende. Das Verlassensein. Die Trauer.
Genau das hatte Ben schon einmal erlebt, als er auf dem Friedhof gesessen hatte.
Die unheimliche Gestalt kniete gar nicht mal weit vom Wagen entfernt. Sie hatte für nichts einen Blick in all ihrer Traurigkeit. Sie sah auch nicht die unheimliche Gefahr, die sich lautlos herangeschlichen hatte. Die schwarze Masse kroch über den Boden, ohne eine einzige Welle zu hinterlassen. Es war kein Geräusch zu hören, und sie hatte den Jammernden von allen vier Seiten eingeschlossen.
Jack Callum umfasste Bens rechten Unterarm. »Was passiert jetzt?«, keuchte er.
»Der lebende Tote hat keine Chance.«
Callum sagte nichts. Er wollte auch nicht über den Begriff des »lebenden Toten« diskutieren, er wollte nur in seinen Wagen steigen und nach Hause fahren können. Was dann passierte, wusste er nicht. Aber bis zum Sonnenaufgang würde ihm sicherlich etwas einfallen.
Die Masse kroch näher. Von allen Seiten glitt sie über den Boden hinweg. Sie bewegte sich unter dem Dienstwagen des Konstablers hinweg und näherte sich den Knien der Gestalt. Kurz davor stemmte sie sich hoch. Eine Welle wie eine Nase entstand. Sie schraubte sich so weit in die Höhe, bis sie den Kopf der Gestalt erreicht hatte, die ihren gar nicht anhob.
Dann fiel die Masse nach vorn!
Was Ben Adams auf dem Friedhof und im Zimmer erlebt hatte, bekam nun auch der Konstabler zu sehen. Die Dunkelheit fraß die Gestalt. Sie gab ihr nicht die Spur einer Chance.
Das leise Schreien verstummte.
Zuckende Bewegungen in der lichtlosen Masse, dann war die Gestalt verschwunden, als hätte es sie nie zuvor gegeben.
»Habe ich das gesehen, Ben?«, krächzte der Konstabler.
»Sicher.«
»Mit meinen eigenen Augen?«
»Auch das.«
»Nein, das ist zu viel! Das kann ich nicht hinnehmen. Da war vorhin noch jemand, und jetzt nicht mehr. So was kann ich nicht fassen!«
»Du musst dich aber damit abfinden, mein Freund. Ich denke, dass sich alle Bewohner hier in Uplees damit abfinden müssen. Mittlerweile gehe ich davon aus, dass wir ein besonderer Ort sind, den sich die Hölle oder wer auch immer ausgesucht hat. Daran kann man nichts ändern. Zumindest wir nicht, weil wir einfach zu schwach sind. Und sieh hin, Jack. Sieh zu Boden, was da mit der Masse passiert. Sie will uns gar nicht. Sie möchte mit uns nichts zu tun haben. Sie zieht sich ganz locker zurück.«
»Ja, ja…«, stammelte der Konstabler. Er sah es selbst. Die Schwärze hatte ihre Aufgabe erfüllt. Sie blieb nicht mehr länger. Wie dunkles Wasser huschte sie lautlos über den Boden hinweg und gab die Sicht wieder frei. Vielleicht war sie in die Ritzen gesickert oder hatte sich einfach nur aufgelöst.
Jedenfalls bekamen die beiden Männer sie nicht mehr zu Gesicht. Schließlich war sie nur noch ein Traum, der sich in ihrer Erinnerung festgesetzt hatte.
Jack Callum schüttelte den Kopf. Der Ausdruck in seinem Gesicht war kaum zu beschreiben. Er leckte mit der Zungenspitze über seine Lippen und gab dann Geräusche von sich wie jemand, der leise weinte.
Ben legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich denke, Jack, dass du jetzt wieder nach Hause fahren kannst. Dir wird bestimmt nichts passieren. Was die lebenden Toten angeht…« Er zuckte mit den Schultern. »Na ja, das ist nicht unsere Sache.«
»Meinst du das?«
»Ja, davon bin ich überzeugt.«
»Ich nicht!«, flüsterte Callum. »Ich… ich… glaube, dass sich die Masse- zuerst um die anderen kümmert. Wenn da keine mehr vorhanden sind, dann greift sie uns an.«
»Das hätte sie schon längst tun können. Welches Motiv sollte sie denn haben?«
»Das weiß ich doch nicht.«
»Bitte, Jack, fahr jetzt.« Adams verstärkte den Druck, und Callum ging auch zwei, drei Schritte nach vorn, blieb dann wieder stehen und schaute sich noch einmal um.
»Keine Angst, Jack, da ist nichts mehr.«
»Scheiße, ich weiß, aber…«
»Ich gehe mit dir.«
»Okay, danke, Ben.« Callum lachte nervös. »Ich glaube, ich habe dich falsch eingeschätzt. Ich habe dich für einen Spinner gehalten. Das taten viele andere ja auch. Keiner hat dich irgendwie ernst genommen. Sorry, ich auch nicht. Aber du weißt ja, wie das ist. Jetzt denke ich anders darüber. Ich weiß, dass noch etwas auf uns zukommt. Das kann es doch nicht gewesen sein. Oder was meinst du?«
»Keine Ahnung.«
Die Männer hatten den
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