1158 - Kalt wie der Tod
Raubtier auf vier Rädern, das es besonders eilig hatte.
Maja Illig hoffte, dass ein Fahrzeug auch in die andere Richtung fahren würde, und der Fahrer sie mitnahm. Es waren in der Regel Fahrer, die sie kannte. Die ganze Strecke wollte sie nicht zu Fuß gehen. Da hatte sie dann vor dem Erreichen des Ziels schon müde Beine.
Des Öfteren schaute sie zurück, obwohl es nicht nötig war. In der Stille hätte sie den Fahrer gehört und auch das Licht der Scheinwerfer über die Straße huschen sehen. Dass sie sich trotzdem immer wieder drehte, war reine Routine.
Noch etwas anderes kam ihr ungewöhnlich vor. Mit jedem Meter, den sie sich vom Dorf entfernte, hatte sie das Gefühl, einer Gefahr näher zu kommen.
Es war rein logisch gesehen blühender Unsinn, aber sie kam einfach nicht gegen ihr Gefühl an, das sich sogar noch verstärkte und zu so etwas wie einer Warnung wurde.
Warum bildete sie sich gerade heute eine Gefahr ein? Hing es mit dem Fremden zusammen, dessen Gesicht sie nicht vergessen konnte?
Sie blieb abrupt stehen. Dann drehte sie sich heftig um - und war erleichtert, als sie keinen Verfolger sah.
Maja schüttelte den Kopf und schimpfte sich innerlich aus. Sie nannte sich selbst eine dumme und ängstliche Gans, aber dieses verdammte Gefühl blieb bestehen.
In dieser Nacht passierte noch etwas. Sie hatte es einfach im Gefühl, und deshalb ging sie auch schneller.
Kurz nach dem Ort war die Straße noch von Pappeln gesäumt gewesen. Jetzt waren die Bäume verschwunden. An manchen Stellen bildete hohes Buschwerk eine Grenze.
Voraus gab es eine Bushaltestelle. Sie stand auf vier Pfosten, besaß eine Rückseite und auch ein Dach. Wer auf den Bus wartete, der konnte sich auf eine Bank setzen, die schon seit dem Bau der Haltestelle, durch irgendwelche Kritzeleien verschmiert war.
Die Haltestelle war für Maja Illig so etwas wie ein Fixpunkt. Sie hatte sich immer vorgenommen, umzukehren, wenn sie diesen Ort erreicht hatte und noch niemand erschienen war, um sie mitzunehmen. So wollte sie es auch an diesem Abend halten.
Sie schaute sich jetzt noch öfter um.
Vom Dorf her näherte sich kein Fahrzeug. Es war wie verhext. Alles schien sich gegen Maja verschworen zu haben, als wollten die Mächte des Schicksals nicht, dass sie das Nachbardorf und damit den Zeltplatz erreichte.
Es dauerte nicht mehr lange, da hatte Maja die kleine Station erreicht. Sie drückte sich in das vorn offene Wartehäuschen hinein und hatte sich entschlossen, nicht mehr weiter zu gehen. An ihren Füßen trug sie nicht gerade Wanderschuhe, sondern welche mit recht hohen Absätzen.
Eine Viertelstunde. Nicht mehr und nicht länger. Wenn dann kein Wagen vorbeikam und von ihr angehalten werden konnte, würde sie wieder zurück in den Ort gehen.
Es gab Tage, an denen nichts lief. Der hier zählte dazu. An anderen Tagen war es Maja egal, aber nicht, wenn sie loswollte. Fing alles bereits so an, dann würde es auch kaum ein großes Vergnügen geben. Das hatte sie nicht zum erstenmal erlebt.
Die Hälfte der Wartezeit war bereits vorbei. In der Tasche der Jeans fand sie noch eine leicht zerknickte Zigarettenschachtel. Zwei Stäbchen befanden sich noch darin. Sie zupfte eines hervor, schnickte die Flamme an und rauchte die ersten Züge.
Die Zigarette war noch nicht abgebrannt, als sich schlagartig alles änderte.
Es kam ein Auto!
»Wer sagt's denn?« flüsterte Maja, warf die lange Kippe zu Boden und trat sie aus.
Mit einem Ruck erhob sie sich von der Bank. Was sie anschließend tat, war reine Routine. Als schon aggressive Tramperin konnte sie in der Spitze mithalten. Maja blieb auch nicht am Rand der Straße stehen, sondern trat in die Mitte hinein, wo sie keinen Schritt mehr weiterging und mit beiden Händen winkte.
Kurz zuckte das Fernlicht auf und blendete sie. Dann sackte es wieder zusammen, und der normale Schein floss ihr entgegen. Sie wusste, dass der Fahrer bremsen würde und hatte sich nicht geirrt.
Dicht vor ihr kam das Auto zum Stehen.
Sie wusste, wer den alten Audi 100 fuhr. Es war leider keiner aus ihrer Gruppe oder Umgebung, sondern ein älterer Mann, der im Ort eine kleine Schreinerei betrieb.
Er hieß Walter Pohland und gehörte nicht eben zu denen, die sich mit den ehemaligen Jugendlichen abgaben. Zur Zeit der DDR war er ein strenger Hund gewesen und hatte die Partei förmlich angebetet.
Maja hätte ihn am liebsten weiter gewinkt. Da er schon mal angehalten hatte, konnte sie es versuchen.
Die Scheibe an der linken
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