1158 - Kalt wie der Tod
die sie verstand. Ein Röcheln floss aus Majas Mund. Ihre Augen quollen hervor und sie merkte, wie ihr Kopf angehoben wurde.
Die junge Frau verstand das Zeichen trotz ihrer Panik. Wenn sie nicht durch den Druck erstickt werden wollte, musste sie dem Druck folgen.
Mit den Händen stemmte sie sich ab. So kam sie besser auf die Füße. Dennoch schwankte die dunkle Welt in ihrer Nähe. Sie sah sogar das Haltestellen-Häuschen, wie es sich scheinbar von einer Seite zur anderen bewegte, und Maja kam sich zugleich vor, als wäre sie aus der Realität herausgezogen worden.
Der andere hielt sie fest. Sie standen sich gegenüber. Dieses Geschöpf besaß ungefähr die gleiche Größe wie Maja. So konnten sich beide anschauen. Sie musste einfach in das Gesicht hineinschauen, das sich so ungewöhnlich verändert hatte, denn es sah so aus, als hätte sich etwas über das andere, das normale Gesicht geschoben. Ein zweites. Vergleichbar mit einem dreidimensionalen Schatten, wobei sich Maja fragte, ob es so etwas überhaupt gab.
Noch lebte sie. Noch konnte sie atmen, denn der Druck der Zunge hatte sich etwas gelockert. Aber sie schwankte von einer Seite zur anderen, die Knie waren weich geworden, und auch jetzt war sie nicht fähig, normal zu denken.
Sie wusste nur, dass es kein Traum war, sondern alles so verdammt real.
Grüne Augen.
Ja, sie waren grün! Facettenaugen, wie bei Insekten.
Wieder zuckte die Zunge an ihrem Hals. Der Druck lockerte sich etwas, und Maja bekam besser Luft. Trotzdem ging es ihr nicht besser. Der andere hielt nach wie vor alle Trümpfe fest. Er würde machen können, was er wollte.
Wieder eine schnelle Drehbewegung. Maja konnte den Weg der Zunge mit den Augen kaum verfolgen, aber sie sah genau, wie das Ding mit einer unglaublichen Geschwindigkeit im Maul des Mannes verschwand und sich dort aufwickelte.
Er schloss den Mund!
Jetzt stand er wieder so vor ihr wie Maja ihn erlebt hatte. Aber sie wusste auch, dass die verdammte Zunge keine Einbildung gewesen war. Es gab sie. Er war wie eine Eidechse, die mit ihrer Zunge die Fliegen fing.
»Was… was… war das?«, fragte sie leise und erkannte die eigene Stimme kaum wieder.
Der Mann vor ihr lächelte, ohne seine Zunge zu zeigen. »Du gehörst jetzt mir!« flüsterte er.
»Wieso? Was…«
»Ja, mir.«
Maja hielt sich tapfer. Sie schrie nicht. Sie jammerte auch nicht, und sie wusste dabei selbst nicht, was mit ihr los war. Normalerweise hätte sie anders reagieren müssen. Ihre Ruhe kam ihr selbst unheimlich vor.
»Ich nehme dich mit, Maja.«
Verdammt, er kennt sogar meinen Namen, dachte sie. Das kann kein Zufall sein. Nein, er muss mich beobachtet haben!
»Mit? Wohin?«
»Wir gehen nicht weit, und du kennst dich bestimmt aus, meine Teure.«
»Zurück ins Dorf?«
Er sagte nichts, lächelte nur, bevor er die Antwort auf seine Art und Weise gab.
Gelassen streckte er Maja seine rechte Hand entgegen. Ihr war klar, was dieses Zeichen zu bedeuten hatte. Sie wollte es nicht, aber sie musste es tun, denn sie konnte sich nicht wehren, und wenig später spürte sie die Berührung seiner Finger.
Sie waren kalt, fast eisig und auch irgendwie feucht, als wäre Schlamm darüber hinweggestreift worden.
Er zog Maja zu sich heran.
Sie folgte ihm, plötzlich willenlos. Sie gingen weg von der Straße, durch einen kleinen Graben und dann lag das Ziel vor ihnen. Eine weite, feuchte und auch dunkle Fläche, die unter der Oberfläche zahlreiche Geheimnisse verbarg…
***
Wenn überhaupt, dann würde der gute Harry Stahl wohl nur zwei bis drei Stunden Schlaf finden in dieser verdammten Nacht, in der alles auf den Kopf gestellt worden war. Nichts war mehr im Dorf wie sonst. Dieses eine Ereignis hatte alles andere überrollt, die Bewohner aufgeschreckt und sie mit einem Vorgang konfrontiert, den sie sich nie im Leben hatten träumen lassen.
So erging es auch dem Ehepaar Hans und Grete Illig, die von Peters und seinen Leuten verhört worden waren. Da hatte sich Harry herausgehalten. In der Gaststube, deren Tür von außen bewacht wurde, hatte er sich in eine Ecke verzogen und trank ein Bier. Er hörte zwar die Fragen und auch die Antworten, doch die Aussagen des Wirts und dessen Frau brachten Peters nicht weiter.
Der wunderte sich nur darüber, dass die Leute den Mörder nicht erkannt hatten.
»Dabei ist sein Konterfei oft genug auf dem Bildschirm zu sehen gewesen«, sagte er.
»Wir sehen kaum fern«, sagte der Wirt. »Nur unsere Tochter, aber bei der läuft
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