1159 - Seth-Apophis
machte es sich auf einer niederen Liege bequem und löschte das Licht. Sie ließ den Gedanken freien Lauf und starrte mit offenen Augen in die Finsternis, bis die Müdigkeit sich über sie senkte.
„Hörst du mich?" flüsterte sie.
Ein kleiner Fleck milchiger Helligkeit schwebte in der Finsternis, blähte sich auf und wurde zu einem kugelförmigen Schädel mit zwei großen Augen, einer Nasenscharte und einem Mund, dessen Lippen aus eingekerbter Hornmasse bestanden.
„Wer bist du?" fragte Seth-Apophis.
„Du kennst mich nicht mehr?" höhnte der bleiche Schädel. „Mein Name tut nichts zur Sache. Ich war einer, der sich von deinen glatten Lügen verführen ließ, ein Abgesandter von Dolghan. Du erfuhrst, daß ich das Wissen besaß, mit dem man Materie aus Energie erzeugen kann. Du wolltest es besitzen, also nahmst du mir den Teil meines Bewußtseins, in dem die Kenntnisse verborgen waren. Als Bewußtseinsfragment bin ich in dir enthalten. Als Körperfragment erscheine ich in deinen Alpträumen ..."
Ein grausiges Lachen quoll aus dem hörnernen Mund. Dann erlosch die Erscheinung.
„Erinnerst du dich an mich?" zischte es im Hintergrund des Raumes.
Seth-Apophis fuhr herum. Ein seltsam verkrümmtes, mehrfach gegliedertes Gebilde glitt langsam auf sie zu. Sie erkannte das gelblichrote Exoskelett der Tupral. Sechs solcher Arme besaßen sie. Die drei asymmetrisch angeordneten Greifscheren klapperten, als sie mit den Spitzen aufeinander trafen. Für Seth-Apophis entstand der groteske Eindruck, sie seien der Mund, der zu ihr sprach.
„Ich gehörte einst einem, der mehr über die Prinzipien der Hyperphysik wußte, als für ihn gut war. Du wolltest erfahren, wie man aus diesem Kontinuum Türen zum Hyperraum aufstößt, also nahmst du ihm einfach einen Teil seines Bewußtseins."
In der Nähe der Tür erschien ein rötlicher Schimmer.
„Siehst du mich ..."
„Hörst du mich ..."
„Erinnere dich nur ..."
Von allen Seiten strömten sie auf sie ein, Körperbruchstücke aller Spezies, die je auf Aitheran vertreten gewesen waren und die vom Diebstahl der Bewußtseinsteile nichts gemerkt hatten: Arme, Beine, Schädel, Füße, Rückenpanzer, Gelenke, Augen, Ohren, Fühler, Tentakel. Jedes Bruchstück verkörperte ein Bewußtseinsfragment, das sie an sich genommen hatten. Sie schwirrten um sie herum, zischten, schrieen, pfiffen und heulten, bis Seth-Apophis mit gellendem Schreckensschrei in die Höhe fuhr. Der akustische Servo reagierte. Die Beleuchtung flammte auf. Die Erscheinungen waren verschwunden.
Sie zitterte am ganzen Körper. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie wußte nicht, ob sie einen Alptraum gehabt oder den grausigen Aufmarsch der Körperfragmente in Wirklichkeit erlebt hatte. Aber eines war ihr klar: Die Überlastung ihrer Bewußtseinssphäre war zu einem Problem geworden.
*
Das Schicksal aber wollte es, daß noch ein paar Jahrhunderttausende vergehen sollten, bis das Problem der Bewußtseinsstauung endgültig gelöst wurde. Vorerst gab es andere Dinge, um die die mächtige Seth-Apophis sich zu kümmern hatte. Nach ihrem kometenhaften Aufstieg, schien es, folgte nun eine Strecke, auf der sie sich jeden Schritt mühsam erkämpfen mußte.
Eines Tages trat Simsin vor sie hin.
„Meine Zeit neigt sich dem Ende zu, Ipotherape", sagte er unterwürfig. „Ich habe dir weit über eintausend Jahre treu gedient. Ich hoffe, meine Dienste sind es dir wert, daß du mir einen kleinen Gefallen erweist."
„Du darfst mich nicht verlassen, Simsin", erklärte Seth-Apophis. „Du bist der einzige, dem ich vertraue. Ich brauche dich."
Die Augen des Anximen leuchteten geschmeichelt.
„Deine Macht ist groß, Ipotherape. Aber gegen diesen einen kommst du nicht an: gegen den Tod. Ich spüre, wie er in meinem Leib wühlt. Glaub mir: Morgen um diese Zeit gibt es Simsin nicht mehr."
Schmerz zeigte sich in Seth-Apophis' Miene, aber er war gespielt. Es würde ihr schwer fallen, ohne Simsin auszukommen. Mit persönlicher Zuneigung hatte das nichts zu tun.
Sie war an ihn gewöhnt. Ohne ihn würde sie sich ihr Leben anders einrichten müssen. Es war Bequemlichkeit, die es ihr schwer machte, den Alten gehen zu lassen.
„Nenne deinen Wunsch, und ich werde ihn dir erfüllen", sagte sie.
„Ich möchte meine letzte Stunde an Bord des Raumschiffs verbringen, das Virwen einst gesteuert hat", antwortete Simsin. „In der Kommandozentrale möchte ich mich zur Ruhe betten, und dort soll mein Körper sich
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