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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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Chinesen hatte, witterten einen politischen Coup und bekundeten mit Nachdruck ihren Entschluss, dem Ereignis beiwohnen zu wollen. Man hatte alles an sich gerissen und ein Datum festgelegt, die Taufe würde im August stattfinden.
    Also machte sich Tchang Woche für Woche auf den Weg nach Isola. Er hielt auf der Straße durch die Eichenwälder ein Auto an. Zuerst wand sich die Straße in Serpentinen, und man hatte währenddessen den Sasso vor sich, aber schon nach kurzer Zeit wurde die Straße gerader und spuckte die Reisenden auf dem unteren Teil des Apennin-Gebirgszuges wieder aus, und dann dauerte es nicht lange, bis man, ohne davon überrascht zu werden, San Gabriele rechts von der Straße hinter den Bäumen erahnen konnte. Tchang ließ sich vor der letzten Biegung absetzen, um den kleinen, ansteigenden Weg zum Kloster hinauf zu Fuß zu gehen. Er musste darum herumgehen und anschließend an dem neueren Gebäude, dem Camerone, vorbei. Er wusste nicht, was die nahe Zukunft dort für sie bereithielt, aber San Gabriele entwickelte sich bereits zu einem Lager und hatte erste Insassen. Tossicia verlassen, in Isola aussteigen, an Gefangenen vorbeigehen, sich vorstellen, was sie beim Anblick eines chinesischen Missionars denken mochten, ins Kloster hineingehen, die Taufe einiger Chinesen vorbereiten, noch einmal an denselben Gefangenen vorbeigehen, einander sehen, sich manchmal grüßen, Isola verlassen und nach Tossicia zurückkehren.
    Bei jedem seiner Besuche umrundete er diesen Camerone, der später zu ihrem Fixpunkt werden würde, und folgte dabei einem Weg, der Ähnlichkeit hatte mit der Umlaufbahn um einen schwarzen Stern. Dann betrat er das Kloster, um in den Raum zu gelangen, in dem seinesgleichen auf ihn warteten. Jedes Mal holte er sein chinesisch-italienisches Wörterbuch aus der Ledertasche, legte es auf den alten Tisch aus Eichenholz und fing an, mit ihnen alle Punkte durchzugehen, die besprochen werden mussten. Sie redeten über den Ablauf der Messe, aber auch über technische Probleme, sie spürten, wie das Ereignis immer größer und gewaltiger wurde und ihnen über den Kopf wuchs. Die Leitung der Kirche hatte es sich nicht nehmen lassen nachzuziehen und war der Verwaltung der Abruzzen gefolgt, so dass die Liste der zu erwartenden offiziellen Vertreter von Woche zu Woche länger und die Taufe dadurch zu einem protokollarischen Knobelspiel wurde. Es hieß also, sich vorzubereiten, sich eine Zeit lang mit den Fortschritten der Täuflinge zu beschäftigen und mit der Frage, ob so manche Ansprache angemessen war, aber genauso eingehend musste man sich den verschiedenen Stellen widmen, bei denen es vorzusprechen galt, den Empfindlichkeiten, die es zu beachten galt, und dem zusätzlichen Herbeiströmen guter Christen in letzter Minute, falls, wie es sich nach und nach abzeichnete, ein apostolischer Nuntius direkt vom Vatikan geschickt werden würde, um die Zeremonie zu leiten. Auf das alles, diesen sich reflexartig immer weiter vergrößernden Ansturm, diese sinnlosen Dominoeffekte, diese vorübergehende Verwandlung von San Gabriele in einen Ort großer Anziehung, wie zu seinen guten Zeiten, bereiteten sich ein chinesischer Priester und ein paar von seinesgleichen in dem Gewölbe hinter der Kirche vor. Tchang verlor kein Wort über die Gewalt, die in dem Ganzen steckte, schlug kein einziges Mal mit der Faust auf den Tisch, um seiner Abscheu gegenüber dieser Zurschaustellung von höflichen Gesten und religiösem Gutmenschentum Ausdruck zu verleihen, das sich bar jeglichen Schamgefühls dieser Leben bediente, von denen jede Minute ein Drama war, vierzig Chinesen, die man herzeigen würde wie Zirkustiere, auch wenn das niemand offen zugab. Pater Tchang war ein Vermittler, der doppelt solidarisch war, er stand sowohl den Italienern als auch seinesgleichen allein gegenüber, und nicht alle davon hießen diese geheime Verschwörung, die da heranreifte, gut. Es geschah oft, dass er in das andere Lager zurückgeschickt wurde, und er schlug sich mit der Inszenierung der Wiederannäherung herum. Er wunderte sich über sich selbst, überzeugt, dass es sein Glaube war, der ihm half durchzuhalten.
    So einfach der Weg zwischen Tossicia und Isola war, weil von der Landschaft vorgegeben, so komplex war das Netz, das nötig war, um den Hin- und Rücktransport von vierzig Gefangenen zu ermöglichen. Um das möglich zu machen, war Tchang unermüdlich in der Gegend unterwegs gewesen. Hunderte von Wegen hatte er zurückgelegt,

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