Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
Vom Netzwerk:
aber immer allein, dem forschenden Blick des gleichmütigen Wachtpostens der Casa Mirti ausgeliefert, unproportional große Aufmerksamkeit und die Inszenierung eines knirschenden Glücks zuteil.
    Nicht auszuschließen, dass in diesem Wald aus Gemurmel, das von haltlosen Psalmodien übertönt wurde, zwischen Abruzzen-Augen und chinesischen Augen Blicke ausgetauscht wurden. Nicht auszuschließen, dass hinter einer Säule eine Frau plötzlich ganz allein in der großen, leeren Kirche stand, oder fast, allein mit demjenigen, dessen Blick sie aufgefangen hatte, weit entfernt vom Lärm der Menge, dem Klimpern der Abzeichen auf dem neuen Leder der Anzüge der vorderen Reihen, weit von all dem entfernt, völlig eingenommen von diesem Blick, der sie durchbohrte und sie mit Angst, aber gleichzeitig mit einem ungeheuren Wohlgefühl erfüllte. Ein Blick, der ihr vom Danach erzählen würde und sie bereits ahnen ließ, dass der Krieg, der ganze schweigende Krieg, der im Geklimper der vordersten Reihe enthalten war, eine Morgendämmerung für sie beide unmöglich machen würde. Dass sich diesem Krieg widersetzen auch heißen würde, sich auf die Suche nach diesem Kontakt zu machen, ihn wiederzufinden, sich erneut in seinen Bann schlagen zu lassen und ihm unerwartete Formen zu verleihen. Vielleicht besaß diese Frau ein Haus an dem Weg, der vom Kloster auf das Plateau hinaufführte. Ausschließen kann man es nicht, aber sicher wissen kann man es ebenso wenig.
    Als ob die Episode der Taufe nicht ausreichte, hängte man noch eine zweite hinten dran: Ihnen zu Ehren wurde ein Mittagessen serviert, währenddessen sie auf Chinesisch eine von Tchang geschriebene Hymne auf den Papst sangen und sich dazu auf einfachen Instrumenten selbst begleiteten. Dann folgte eine feierliche Segnung, und jeder spielte seine Rolle, alle rührten in diesem seltsamen Kessel mit. Im Konvoi kehrten sie nach Tossicia zurück, und dort ging das Spektakel weiter, als gälte es, beide Dörfer gleichermaßen zufriedenzustellen. Vor der wartenden Bevölkerung und den wichtigen Persönlichkeiten, die fremde Menschen zurückkommen sahen, die nun zu ihnen gehörten, richtete Tchang das Wort an die Menge, äußerte seine Dankbarkeit gegenüber Gott, weil er ihn nach Italien geführt hatte, und gegenüber dem Papst, weil er sich so für die Chinesen im Land interessierte. Er bedankte sich, da musste man durch, bei allen Autoritäten, die er mit sorgfältig gewählten Worten als »wahre Väter und Mütter der Internierten« bezeichnete, ein scheinbares Kompliment, mit dem er sie aber eigentlich an ihre Verantwortung erinnern wollte. Dann wandte er sich an den Gesandten des Papstes und versprach in ihrem Namen, dass die Getauften gute Christen sein und versuchen würden, weitere zu bekehren. In dieser Zeremonie, die ihnen gehören sollte, ließ man sie die Rolle des Chores übernehmen, und so sangen sie erneut. Und man sah ihnen dabei zu, wie sie singend ihre erstickte Freude darüber zum Ausdruck brachten, endlich irgendwo angekommen zu sein. Auf diese Weise bot man ihnen zwei Auswege auf einmal an, die Casa Mirti und die Casa Fabi verlassen und das verlassen, was sie verkörperten, das weit entfernte, tosende Anderswo. Man spielte, dass man sie willkommen hieß, dass alle Söhne der gleichen Kirche wären. Und so hatte noch der einfachste unter den Bauern das Gefühl, mit einer Rolle und einem Fünkchen Macht ausgestattet zu werden, das kostete nicht viel. Ganz zu schweigen von dem Nutzen, den gewisse Personen aus dieser wohlfeilen Metapher des Willkommens zogen: Was sprach dagegen, einer Politik der Konzentrationslager ein menschliches Antlitz zu verleihen, vor allem, wenn das Ganze als unvergessliches Volksfest daherkam und den Anschein einer Kommunion hatte? Noch nicht einmal, dass sich einer von ihnen im Namen der Gruppe hätte äußern dürfen, stattdessen wurde das Wort einem allen unbekannten Missionar erteilt, der den Zuhörern von China erzählte. Es nahm einfach kein Ende. Es waren gewissenhaft alle Vertreter der Frömmigkeit einbestellt worden, die sich nun einer verschwenderischen Fülle von Lobliedern und gegenseitigen Versprechungen entledigten. Das Publikum wohnte einem verrückten Fest bei, eine Karnevals-Figur aus Pappmaché war mit schmalen Bändchen aus verkümmerten Wahrheiten in tausend grellen, nicht zueinander passenden Farben behängt, tausend Unvereinbarkeiten, eine vielgestalte und verlogene Wahrheit, um die aufgegebene Transparenz damit zu

Weitere Kostenlose Bücher