1168 - Nach den Regeln der Hölle
habe dir deine Chancen für die Zukunft eröffnet, aber du hast nicht zugegriffen. Du hast dich starr gezeigt. Es steckt zu viel von deinem verstorbenen Vater in dir. Ich kenne ihn. Auch er hat seinen Willen immer durchsetzen wollen. Es ist schade für dich. Wir hätten zu dritt in die Zukunft gehen können, so aber sind wir nur zu zweit. Du bist für mich schon so gut wie tot…«
Alina hatte alles gehört. Trotzdem glaubte sie, sich geirrt zu haben. Wenn Dorian ihr das gesagt hätte, dann hätte sie es akzeptiert, denn für sie war ihr Onkel trotz seines menschlichen Aussehens kein Mensch mehr.
Aber die Mutter? Die eigene Mutter, die nicht ihr Kind schützen wollte?
Wie tief musste man als Mensch denn sinken, um eine derartige Meinung zu vertreten? Noch immer starrte sie ihre Mutter ungläubig und mit offenem Mund an. Das war nicht zu fassen, aber der Blick der anderen Augen sagte ihr genug.
Keine Gnade!
Alina wusste nicht mehr, was sie noch machen sollte. Sie konnte nicht mehr in das Gesicht der Mutter schauen. Das andere Ziel war ihr Onkel.
Er befand sich in einem Zwitterstadium. Die grüne schuppige Drachenfratze hatte beinahe schon die Hälfte seines Gesichts übertüncht. Zumindest oben. Unten sah sie den normalen Mund noch stärker, und dessen Lippen zeigten ein grausames Lächeln.
Als viel schlimmer noch empfand Alina die Waffe in der rechten Hand der Kreatur.
Es war ein kurzes, leicht gebogenes Messer, das sie schon kannte. Die Mordwaffe, mit der Dorian ihren Vater getötet hatte. Jetzt sollte auch sie durch das Messer sterben.
»Deine Augen«, flüsterte die Kreatur der Finsternis. »Jetzt hole ich mir deine Augen…«
***
Es war ein Versprechen, das er brutal in die Tat umsetzen würde. Davon musste Alina einfach ausgehen. Und niemand war weit und breit in der Nähe, der ihr helfen konnte.
John Sinclair und Jane Collins mussten sich verspätet haben. Sie hatten einfach zu stark auf ihren Freund Suko gesetzt, der außer Gefecht gesetzt worden war. Sie wusste nicht einmal, ob er noch lebte. Seine Augen jedenfalls besaß er.
Dorian zeigte nur Interesse für seine Nichte. Er wirkte wie ein Mordgespenst aus dem Nebel. Eine unheimliche Gestalt, die keine menschlichen Gefühle zeigte.
Er kam näher.
Das Messer hatte er so gedreht, dass die Spitze nach oben zeigte. Er war sicherlich ein Meister in der Handhabung der Klinge, wenn er seiner Nichte bei lebendigem Leib die Augen aus den Höhlen holte.
»Niemand wird noch helfen können, meine Kleine - niemand…« Ein ätzendes Lachen erreichte Alinas Ohren. Sie wusste ja, wie Recht er hatte. Es gab keinen Ausweg für sie, obwohl sie zurückwich und an Flucht dachte.
Es war vielleicht die einzige Möglichkeit, um sich dann im Schutz des Nebels zu verstecken.
Auch das schaffte sie nicht mehr, den sie stolperte über den am Boden liegenden Suko und schaffte es auch nicht mehr, sich zu fangen. Mit einem wuchtigen Aufprall landete sie auf dem Rücken.
Auch mit der Erkenntnis, dass es jetzt vorbei war.
Dorian Wade trat einen langen Schritt nach vorn. Er stieg auch über den Körper hinweg, um so nah wie möglich bei Alina zu sein. Er würde sich bücken, das Messer ansetzen, sie festhalten und dann…
Langsam ging er in die Knie.
Alina wollte ihn nicht mehr sehen. Das widerliche Gesicht war einfach zu viel für sie. Im letzten Augenblick, bevor sie die Augen schloss, sah sie etwas aus dem Nebel hervorkommen. Es war ein silbrig schimmernder Gegenstand, der zielsicher geworfen worden war und zwischen ihr und der Kreatur der Finsternis auf den Boden prallte.
John Sinclairs Kreuz.
***
Ob Jane und ich zu langsam gewesen waren, ob wir zu lange gewartet hatten - wir wollten nicht näher darüber nachdenken. Jedenfalls befand sich Alina in einer fatalen Lage. Das Messer in der Hand des Dorian Wade sagte genug.
Nie konnten wir rechtzeitig genug bei ihr sein, um sie vor dem Tod zu bewahren.
Aber mein Kreuz war schneller.
Ich hatte nur einen Wurf, und der musste das Ziel genau finden. Das Kreuz durfte nicht zu weit von Wade entfernt landen, damit er seine Kraft noch aus unmittelbarer Nähe spürte.
Und die schlug zu.
Ich sah beim Laufen durch den Nebel, wie Wade in die Höhe zuckte. Er wirkte plötzlich unsicher, und auch die Hand mit dem Messer befand sich weit genug von Alina entfernt. Sie konnte ihr nicht gefährlich werden.
Ich rannte, was die Beine hergaben. Es waren nur wenige Sekunden, da hatte ich den Ort erreicht.
Was Jane tat, darum
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