1168 - Nach den Regeln der Hölle
graue Dunst hing als Fetzen in der Luft. Er bewegte sich kaum, doch an einigen Stellen wies er schon Lücken auf.
Suko kam immer näher. Er hielt den Kopf gesenkt. Noch zwei Grabreihen weiter, dann würde er sich nach rechts wenden müssen. Dieser schmale Weg führte genau am Grab des Henry Wade vorbei.
Er war näher herangekommen. Es war ihm auch gelungen, einen Blick in die Richtung zu werfen.
Die meisten der Gräber lagen flach auf dem Boden. Abgesehen von irgendwelchen Kreuzen, die in die Höhe wuchsen oder ersten flachen Steinen, auf denen nur die Namen der Verstorbenen eingemeißelt waren.
Nicht das Grab des Henry Wade.
Er hatte noch keinen Beweis für seine Theorie bekommen, aber die dunkle Masse auf dem Grab war trotz des Nebels nicht zu übersehen. Dort befand sich etwas, das nicht dahin gehörte.
Suko ging völlig normal weiter, obwohl er innerlich angespannt war. Er hoffte, sich unauffällig zu benehmen, und auch der plötzliche Halt neben Wades Grab fiel nicht aus dem Rahmen.
Normalerweise lagen die Toten in der Erde. Hier hatte Suko den Eindruck, als hätte man den Körper einfach auf das Grab gelegt, weil man sich nicht die Mühe machen wollte, einen Schacht zu schaufeln.
Es war eine Frau, die dort ihren Platz gefunden hatte. Sie trug einen grauvioletten Sommermantel.
Sie lag auf der linken Seite. Das Ohr war gegen die Graberde gedrückt, als wollte sie irgendeiner geisterhaften Totenstimme lauschen.
Das Haar war grau, kurz geschnitten, und auf der Gesichtshaut zeichnete sich Feuchtigkeit ab. Sie hielt die Augen offen. Zumindest das eine, das Suko sah. Ihr Blick war leblos. Er erinnerte Suko an den einer Toten. Das stellte er fest, als er sich gebückt hatte. Er wollte auch prüfen, ob die Frau noch lebte. So wie sie dort lag, wirkte sie auf ihn wie eine Tote.
Eine Wunde entdeckte Suko nicht. Er hätte sich auch vorstellen können, dass der Person die Kehle durchgeschnitten worden wäre, aber da lag er falsch.
Zu einer Berührung zwischen den Beiden kam es nicht, denn Suko hörte die leisen Schritte hinter seinem Rücken. Innerlich und auch äußerlich erstarrte er, tat aber so, als hätte er nichts gehört und streckte seine Hand nach der Frau aus.
»Nein, tu es nicht!«
Genau auf die Stimme hatte Suko gewartet. Sein Erschrecken spielte er jetzt, zuckte dann hoch, und nahm zugleich wahr, dass die Geräusche verstummten.
Er drehte sich um.
Vor ihm stand Dorian Wade, die Kreatur der Finsternis!
***
Auch jetzt spielte Suko und benahm sich wie ein völlig normaler und auch ahnungsloser Mensch, der plötzlich aus seinen tiefen Gedanken durch das Erscheinen der Gestalt herausgerissen worden war. Er zuckte sogar zusammen und brachte es auch fertig, eine ängstliche Miene aufzusetzen.
»Bitte?« Er trat einen Schritt zurück.
»A… aber die Frau…«
»Geht dich nichts an.«
Der Mann kam näher. Er war dunkel gekleidet. Das ließ ihn innerhalb des Nebels noch unheimlicher aussehen.
Suko spielte weiterhin den Überraschten. »Ist sie denn tot?«, flüsterte er.
»Und wenn, dann sollte dich das auch nicht stören. Ich will, dass du verschwindest.«
Mit dieser Forderung hatte Suko gerechnet und sich auch darauf einstellen können. »Nein, wieso? Warum sollte ich das tun? Das hier ist kein privates Gelände, sondern ein öffentliches. Ich denke gar nicht daran.«
»Was hast du hier zu suchen?«
»Das Gleiche kann ich Sie fragen.«
»Aber ich habe zuerst gefragt.«
Suko schüttelte den Kopf. »Was sucht man schon auf einem Friedhof? Warum geht man hin? Um einen toten Angehörigen zu besuchen, das ist der Grund.«
»Um diese Zeit?« Wade wollte es nicht glauben. »Es ist mehr als ungewöhnlich.«
»Das gebe ich zu. Aber nicht für mich. Ich habe nur heute Morgen Zeit. Ich komme von der Nachtschicht, verstehen Sie. Ich werde mich gleich hinlegen und schlafen. Da bleibt mir eben nur die frühe Morgenstunde. Außerdem ist es schon hell. Dass es so neblig werden würde, damit habe ich nicht rechnen können. Und eine leblose Gestalt habe ich noch nie auf einem Grab liegen sehen. Was haben Sie eigentlich mit der Frau gemacht? Ist sie tot?«
»Ich sagte schon einmal, dass es dich nichts angeht. Dieser Platz ist nicht gut für dich. Hau ab.«
»Ja, ich gehe zum Grab meines Vaters.«
»Ach ja? Wo liegt es denn?«
»Ein paar Reihen weiter.«
Wade schüttelte den Kopf. Nicht einmal schnell. Eher langsam, aber trotzdem bestimmend. »Es tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen. Du wirst
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