1180 - Der Drachenschatz
kommen.«
»Aber nur wenige.«
»Dann weiß ich es auch nicht.«
Leon wusste ebenfalls nicht, was er sagen sollte. Er nagte an seiner Unterlippe. Er dachte dabei nach, und auf seiner Stirn entstand eine dicke Falte. »Ich wohne nicht weit weg, aber ich habe nicht gehört, dass jemand eine Münze gefunden hat. Es sind nur wenige Häuser. Oft sind die meisten im Winter geschlossen, weil keine Feriengäste mehr kommen. In zwei Wochen ist es wieder so weit. Dann werden auch die ersten Stürme erwartet, aber dass jemand Münzen gefunden hat, davon habe ich noch nie gehört.«
»Dann sind sie eben weg!«
Leon nickte. »Was machen wir?«
Die Antwort erfolgte prompt. »Was wir uns vorgenommen haben. Wir werden zu mir gehen. In meine Zeit.«
Leon zitterte plötzlich und hatte Mühe, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Und was werden wir dort erleben? Wo werden wir dann sein, Joel?«
»Hier!«
»Ach.« Leon schnappte nach Luft. »Du meinst hier am Strand? An dieser Stelle?«
»Genau.«
Die Aufregung ließ Leons Kopf wieder rot werden. »Wie sieht es denn hier aus?«
»Etwas anders, aber nicht viel. Es ist nicht so ruhig. Auch gefährlich.«
»Denkst du dabei an den Drachen?«
»Ich habe ihn gesehen. Er ist aus dem Meer gekommen. Er ist so riesig groß.«
Leon erschauerte. Er blickte an seinem »Bruder« vorbei auf die Wellen, die mit der stoischen Gleichmäßigkeit anrollten wie zu allen Zeiten. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es hier Veränderungen gab. Das war zu hoch für ihn. So etwas erlebte man nicht wirklich, sondern nur in der Fantasie.
Joel streckte ihm die Hand entgegen. Sein Gesicht war ebenso ernst wie das des Leon.
»Kommst du?«
»Jetzt?«
»Wir sollten wirklich nicht warten.«
»Und was ist mit der Rückkehr? Kann ich denn sicher sein, dass ich wieder zurückkehre?«
»Ich habe es doch auch geschafft.«
Das stimmte zwar, aber die Antwort hatte Leon trotzdem nicht überzeugen können. Auf der anderen Seite wollte er sich auch nicht als Feigling erweisen. Deshalb stimmte er durch sein Nicken zu und streckte Joel seine Hand entgegen.
Als es zur Berührung kam, durchzuckte ihn wieder der Schreck. Abermals hatte er den Eindruck, die Hand eines Toten zu halten, aber daran wollte er nicht denken.
Joel drehte sich zusammen mit Leon um. Beide Jungen schauten jetzt auf das Meer hinaus. Sie sahen das Wasser, die Wellen, sie sahen die Felsen weit vor dem Strand, die sich gegen die Flut stemmten und sie brachen, und sie sahen den Himmel, der über ihnen schwebte und ein Muster aus grauen und hellen Farben zeigte.
Es war die normale Welt für Leon. Die kannte er. In ihr war er aufgewachsen, und er fühlte sich als Kind seiner Zeit, auch wenn seine Träume und Vorstellungen in andere Richtungen liefen. Ansonsten aber war er voll auf der Höhe, und grübeln oder nachdenken war den Menschen schon immer zu Eigen gewesen.
Er spürte Joels Druck an seiner Hand. Sanft wurde er vorgezogen. Er wehrte sich auch nicht und spürte, wie sein Fuß durch den Sand schleifte.
Dann gingen sie…
Kein Wort drang aus Leons Mund. Er hielt die Lippen fest zusammengepresst. Sein Blick glitt nach vorn. Das Herz schlug heftig. Die Aufregung versetzte ihn in einen völlig anderen Zustand, den er selbst nicht beschreiben konnte. Plötzlich war alles anders geworden, obwohl sich um ihn herum noch nichts verändert hatte. Aber damit musste er fertig werden.
Plötzlich erfasste ihn der Druck. Er war nur leicht und kaum spürbar, aber Leon merkte den Widerstand schon, der ihn allerdings nicht aufhalten konnte.
Etwas knisterte um ihn herum. Ein Windstoß fuhr in sein Gesicht. Er hörte das Rauschen der Wellen intensiver und vernahm auch die leise Stimme seines Begleiters.
»Jetzt sind wir bei mir, Leon…«
***
Ich hatte Noah Flynn erst noch überzeugen müssen, den Toten wirklich allein zu lassen. Es ging ihm gegen den Strich, und er sah es auch nicht als moralisch an.
Darauf konnten wir keine Rücksicht nehmen. Es ging darum, dass wir den oder die Mörder fingen, die Burt Russell so brutal und hinterrücks getötet hatten.
Mit einem Messer?
Diese Frage beschäftigte mich. Ich glaubte auch daran, dass es ein Säbel gewesen sein konnte. Ausschließen konnte man einfach nichts. Für mich war es wichtig, die Drachenküste zu erreichen. Ganz in der Nähe besaß mein Begleiter eine Hütte, die wir praktisch als Basis nehmen konnten. An der Küste waren die beiden Münzen gefunden worden, die sich durch die
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