1186 - Der Henker vom Hamburg Dungeon
mir doch, mein Kind zu finden! Bitte, ihr müsst mir helfen. Ich will nicht, dass es zu Asche wird. Es ist doch noch so jung. Bitte, helft mir…«
Ihre Schreie gingen unter in jammernden Lauten. Sie war plötzlich schwach geworden und konnte sich nur mühsam bewegen. Tränen liefen über ihr Gesicht. Sie irrte durch die Szenerie und fasste fast jeden Besucher an, um ihn irgendwohin zu zerren.
»Suchen! Helft mir suchen. Ihr müsst es tun. Ihr könnt mich doch nicht allein lassen!«
Die Besucher taten nichts. Damit hatten sie wohl nicht gerechnet, Szenen mit echten Schauspielern zu erleben. Es gab nur wenige, die sich amüsierten. Die meisten zeigten sich schon leicht geschockt und waren recht steif geworden.
»Bitte! Bitte…!« Die Frau mit dem langen Rock und der ebenfalls langen Schürze lief weiter. Sie weinte. Schminke und Tränen verliefen auf ihrem Gesicht.
»Überlasst es nicht dem Feuer - bitte! Helft mir doch suchen, ihr edlen Menschen…«
Es ist gut gemacht, dachte Craig. Verdammt gut, sogar. Auch er konnte sich dem Bann nicht entziehen, und er hatte allmählich das Gefühl, den Rauch einzuatmen. Er schmeckte tatsächlich nach Verbranntem, und das Feuer umflackerte die Besucher wie wilde Zungen.
Die Frau stolperte auf Craig zu. Sie tauchte aus dem künstlichen Rauch auf. Das Gesicht sah er dicht vor sich. Die Augen wirkten unnatürlich groß und in Panik geweitet. Der Mund stand halb offen.
Aus ihm drangen die kehligen Schreie, und Craig merkte, wie zwei fremde Hände nach seinen griffen.
»Bitte, der Herr, bitte. Tut mir einen Gefallen. Helft mir, meinen Sohn zu suchen. Ich will Tommy haben. Ich will ihn zurück. Er ist mein Ein und Alles.«
Wieder stürzten Tränen aus ihren Augen. Sie hinterließen neue Spuren in ihrem Gesicht. Die Lippen zuckten, aber die Hände hielten fest und zogen Craig nach vorn.
»Edler Herr, kommt mit. Kommt in die andere Kammer. Kommt mit mir. Ich… ich… glaube, dort kann ich Tommy finden. Es ist die letzte Möglichkeit. Er muss einfach dort sein…«
Craig Farell wollte den Kopf schütteln und sich zurückziehen, doch die von Panik erfüllte Frau ließ ihn nicht los. Sie zerrte ihn nach vorn und damit tiefer hinein in den Rauch.
»Einer von euch muss doch schauen, ob Tommy noch lebt. Bitte, einer muss es tun.« In den Augen der besorgten Mutter leuchtete der Wahnsinn, und Craig versuchte nicht, sich dem Griff der Hände zu entziehen. Er hatte sich entschlossen, das Spiel mitzumachen.
Die anderen Besucher blieben zurück, die meisten froh darüber, dass es nicht sie erwischt hatte.
Die Hände ließen Craig los, kurz bevor sie eine Tür erreichten. Eine Tür wurde aufgerissen. »Da!«, schrie die Stimme. »Da hinein! Da muss Tommy sein…«
Craig sah so gut wie nichts, weil ihm der dicke Rauch einfach die Sicht nahm. Nur Umrisse schälten sich hervor. Auch vor ihm flackerte das Feuer, gab es rotes Licht und Schatten, krachten irgendwo in der Nähe Balken zusammen, und dann, als er nicht schnell genug reagierte, erhielt er einen Stoß in den Rücken, der ihn über die Schwelle in das Haus der Frau hineintrieb.
Für einen Moment wurde der Rauch noch dichter. Unwillkürlich wedelte Craig mit der rechten Hand, um das Zeug zu vertreiben und sich eine bessere Sicht zu verschaffen. Er hörte das Läuten einer Feuerglocke, wieder nahm er Schreie wahr, doch nicht mehr so laut wie draußen.
Plötzlich war die Frau wieder da. Sie klammerte sich an ihn. Ihre großen Augen waren flehend auf ihn gerichtet. Der Mund zitterte. »Such Tommy, such ihn…«
»Ja, ja, schon gut…«
Die Mutter ließ ihn los. Gebückt ging sie nach hinten und in einen neuen Schwall aus Rauch hinein.
»Such ihn, Fremder, such ihn…« Ihre Worte verklangen, und auch sie tauchte ab.
Craig glaubte zu sehen, dass sie eine Tür im Hintergrund geöffnet hatte. Dabei gellte noch einmal die Stimme der Frau auf. Diesmal lauter als zuvor, und ihre Worte begleitete sie mit einem scharfen und hässlich klingenden Lachen.
»Reingelegt, reingelegt! Du wirst Tommy nicht finden können. Er ist verbrannt! Das Feuer hat ihn geholt. Die Flammen haben meinen Tommy zu Asche gemacht…« Wieder das Lachen. Danach die letzten Worte. »Und du wirst auch verbrennen. Vergehen in der Feuerhölle. Du wirst ein Opfer wie auch mein Tommy…«
Es waren die letzten Worte. Craig hörte noch den Knall, mit dem die Tür geschlossen wurde, dann stand er allein in dieser fremden Umgebung aus künstlichem Feuer und
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