1189 - Hexen-Wahrheit
Unsinn. Sie hat eine Botschaft, eine Aufgabe. Davon bin ich voll und ganz überzeugt.«
Die Horror-Oma hatte große Augen bekommen. Über ihre Brille hinweg schielte sie Jane an. »Aber sie hat dir nicht gesagt, weshalb sie gekommen ist.«
»Nein.«
»Hat sie auf dich einen hilflosen Eindruck gemacht?«
»Nicht direkt.« Jane lachte plötzlich auf und warf den Kopf zurück. »Mir fällt soeben etwas ein, das ziemlich weit hergeholt ist. Ich werde es dir trotzdem sagen. Ich hatte das Gefühl, Sarah, dass sie gar nicht freiwillig auf ihre Art und Weise erschienen ist. So komisch es sich auch anhört, aber das ist mir passiert.«
»Kannst du dich da genauer ausdrücken?«
»Ja und nein. Mir kam sie vor, als stünde sie unter Druck, der durch einen anderen Vorfall ausgelöst worden ist. Sie hat ihre Welt verlassen…«
»Obwohl sie es nicht wollte?«, fragte die Horror-Oma dazwischen.
»Ich denke schon«, erwiderte Jane mit leiser Stimme.
»Das ist natürlich ein Hammer.«
»Und ein nicht eben kleiner.«
Sarah machte eine wegwischende Handbewegung. »Ach, so sehe ich das erst mal nicht. Ich denke, dass wir abwarten sollten. Deine neue Freundin wird sich melden, dessen bin ich mir sicher. Und du hast eines erreicht. Du wirst nicht als ihre Feindin angesehen, Jane. Das ist doch etwas. Darüber sollten wir uns freuen. Da gibt es jemand, der bei dir Hilfe sucht, der gemerkt hat, dass auch noch etwas in dir steckt, auf das sich die andere Person verlassen kann. Ich würde das recht locker sehen.«
Jane musste säuerlich lächeln. »Leider bin ich nicht du, Sarah. Ich kann es nicht locker sehen. Ich habe allmählich auch keine Lust mehr, immer an meine Vergangenheit erinnert zu werden. Das will ich einfach nicht.«
»Ja, schon gut. Doch darüber sollten wir uns in dieser Nacht nicht den Kopf zerbrechen.«
»Bettruhe?«
»Genau, mein Kind!«
Jane musste lachen, als sie die Antwort hörte. Sie stand auf und umarmte die Horror-Oma. »Irgendwie bist du einmalig, Sarah, und ich freue mich auch, bei dir sein zu können.«
»Ja, ja, bei einer alten Frau. Im Prinzip ist das nichts für dich. Das ist auch nicht normal.«
»Normal, sagst du?« Jane ging einen Schritt zurück, um Sarah anschauen zu können. »Kannst du mir verraten, was bei uns oder in unserem Freundeskreis normal ist?«
»Nein, kann ich nicht.«
»Eben.«
»Was heißt hier eben? Bei uns ist die Normalität das Unnormale. Das genau ist so spannend. Oder nicht?«
Jane hob die Schultern und sagte: »Wer kann dir schon widersprechen, Sarah Goldwyn…?«
***
Es gibt auch Menschen, die sich möglicherweise mit einem Fitness-Center ein Denkmal setzen.
Dazu gehörte der Mafia-Boss Tizian Tristano, denn seine Muskel-Bude war etwas Besonderes.
Nicht nur, dass sie in den Docklands lag, einer der neuen und verdammt teuren Ecken von London, nein, auch nach außen hin musste so ein Haus etwas hermachen, und da war an Kosten nicht gespart worden.
An einer Straßenecke lag der Bau in dessen unterem Stockwerk das Glas wahre Triumphe feierte.
Große Scheiben, die einen Blick in das Innere gestatteten, das allerdings nicht mit schwitzenden Besuchern gefüllt war. Ein Empfang wie in einem Luxus-Hotel. Daran anschließend eine Bar, an der sich die Gäste aufhalten und sich wohl fühlen konnten. Im Halbkreis. Sehr modern, sehr kühl gehalten, allerdings edel, damit sich auch die ach so coolen Typen dort wohl fühlen und ihre Vitamindrinks einnehmen konnten.
Nach außen mussten gewisse Menschen eben ein bestimmtes Bild abgeben, um über die wahren Absichten hinwegzutäuschen. Tristano war so ein Mensch.
Ich kannte ihn nicht. Auch mein Freund Suko hatte ihn noch nie gesehen. Er gehörte zu den Internet-Bossen. Da war nichts mehr von dem morbiden Charme der alten Mafia-Generation zu spüren.
Die neue Firma wurde geführt wie ein Unternehmen. Platz für Sentimentalitäten gab es da nicht.
Durch eine sich automatisch bewegende Drehtür betraten wir den Fitness-Club.
Hier roch nichts nach Schweiß. Es gab keinen Saunageruch, dafür funktionierte die Klimaanlage perfekt. Moderne Möbel. Klare Funktionen, die große Sachlichkeit, die auch durch das kalt wirkende Gestänge der Lampen dokumentiert wurde, deren Licht allerdings durch farbige Schirme gefiltert wurde.
Die Perle an der Anmeldung sah aus, als würde sie für die Super-Figur Reklame machen. An ihr war alles perfekt, wenn auch geschminkt. Sie trug ein glänzendes Shirt, das so eng am Körper anlag, dass auch
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