119 - Der Diamantendolch
Näheres über den Dämonen wissen. Er nahm am langen Tisch Platz und trank einen Becher Wein, während die Ratgeber und Vornehmen des Rajah sich mit schrecklichen Berichten überboten. Der Hauptmann Amritsar, der hinter Unga stand, wurde immer blasser und hatte schließlich eine Farbe wie frischer Ziegenkäse.
Unga ließ sich nicht beeindrucken. Er bemerkte mit Freude, daß sein Kopf klar war. Sein Körper mochte geschwächt sein, wenigstens funktionierte sein Gehirn wieder.
Wenn der Cro Magnon den Kampf mit dem Dämon Ravana überhaupt zu bestehen vermochte, dann diesmal nur mit seiner Schlauheit, nicht mit seinen Muskeln. Und Unga war keineswegs ein primitiver Gewaltmensch, sondern hatte Köpfchen.
Der Dämon Ravana stammte aus den Hängen des Transhimalaja, wie Unga erfuhr. Vor einem Dutzend von Jahren war er in diesem Landstrich aufgetaucht und hatte erst im geheimen sein Unwesen getrieben. Dann war er immer dreister geworden, und niemand konnte ihm Einhalt gebieten. Krieger und Helden, die es versuchten, waren gräßlich zugerichtet und all ihrer Körpersäfte beraubt in der Nähe von Ajanta aufgefunden worden. Jetzt war es so weit, daß Ravana den ganzen Landstrich unterjocht hatte. Erst hatte er als Opfer eine Jungfrau im Jahr gefordert, dann eine im Monat, jetzt schließlich eine in der Woche. Daß er nun die Tochter des Rajah haben wollte, setzte seiner Frechheit die Krone auf.
„Wisse, o Fremder", sagte einer der Ratgeber, „Ravana hat in einer jahrhundertelangen Existenz ein sehr starkes Karma entwickelt. Ravana kann nicht sterben, um eine neue Wiedergeburt zu erleben, bei der das Karma seines früheren Lebens aufgebraucht wird. Deshalb wird sein Karma, das nur durch böse Taten entstanden ist, immer stärker. Ravanas Macht ist ungeheuer. Er vermag, mit bloßen Händen Bäume zu entwurzeln, und die wilden Tiger und anderen Tiere des Waldes gehorchen seinem Willen."
Das waren schöne Aussichten, die der dünnbärtige Alte Unga da in seiner umständlichen Art mitteilte.
Der Cro Magnon biß in eine Papayafrucht. Spöttisch sah er Amritsar an, dessen Augen groß und rund vor Angst waren.
„Der Held Amritsar und ich werden den Kampf mit dem Dämonen wagen", sagte er. „Wenn Amritsars Tapferkeit und Stärke auch nur halb so groß ist wie sein mächtiges Mundwerk, kann gar nichts schiefgehen."
Unga hörte noch, daß der Dämon Ravana sich im Transhimalaja lange darauf vorbereitet hatte, einen besiedelten Landstrich zu übernehmen. Ravana war ein echter Dämon, heimtückisch, schlau und sehr eitel. Er selbst hatte eine Menge über sich erzählt, um sich ins rechte Licht zu rücken und die Menschen zu beeindrucken und zu erschrecken.
Unga verließ den Audienzsaal und ging ein wenig im Park spazieren. Nach einer Weile mußte er sich auf eine Bank setzen, denn seine Beine trugen ihn kaum noch, und seine Knie zitterten. Der Trank des Guru unterdrückte das Fieber und die Schüttelfröste; aber die Krankheit tobte immer noch in Ungas Körper und schwächte ihn.
Der Cro Magnon überlegte, was er über den Begriff des Karma wußte. Über ihm strahlte der Himmel blau, aber am Horizont zogen sich schon Wolken zusammen, denn es war noch immer die Regenzeit. Der feuchtwarme Monsunwind wehte von Süden her. Im Parkgarten pickten Paradiesvögel und Pfauen unter blühenden Sträuchern herum. Springbrunnen mit artesischen Röhren führten ihre Wasserspiele auf.
Es wäre alles sehr idyllisch gewesen, hätte es nicht Ungas Krankheit gegeben und die Tatsache, daß er gegen den Dämon Ravana kämpfen mußte. Der Cro Magnon fürchtete den Tod nicht, aber er hatte auch nicht vor, früher als unbedingt nötig von dieser Welt zu gehen. Seine Chancen im Kampf gegen Ravana schätzte er bei objektiver Betrachtung sehr schlecht ein. Er war besorgt, aber er fürchtete sich nicht.
Karma war ein Begriff wie Seele, transzendental, nicht definierbar. Das Karma wurde durch die Taten gebildet, die ein Mensch im Laufe seines Lebens beging, sowie durch sein Denken und Handeln. Dieses Karma wirkte sich beim nächsten Dasein, bei der Wiedergeburt, aus. Ein gutes Karma bedingte eine hohe Wiedergeburt, ein schlechtes eine niedere und üble. Das Karma des früheren Lebens bestimmte das Schicksal des neuen.
Ravanas Karma, durch keine Wiedergeburt aufgebraucht, hatte sich im Laufe der Jahrhunderte in ihm zu einer bösen Energie gestaut, hatte ihn und gewiß auch seine Umgebung durchdrungen.
Unga hatte noch keine Ahnung, wie er es
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