1190 - Die stählerne Spinne
entlangbewegte?"
„So ist es. Das Volk der Gharwos baut schon seit Generationen an seinem Netz. Das Netz dient ihm nicht nur als Unterkunft und Wohnung; es verschließt die große Höhle in der Oberfläche des Loolandre, so daß niemand, dem Ordoban es nicht ausdrücklich gestattet hat, hinein oder heraus gelangt."
„Die zittrige Linie am Rand des Büdes, das ist die Kontur der Höhle?" vergewisserte sich Callamon. „Wenn du es alles schon weißt, wozu fragst du mich?"
Staunend musterte Leo Dürk das Bild. Er hatte den stählernen Strang noch gut in Erinnerung, auf dem Landrix entlanggeglitten war. Wenn er sich die Abmessungen der Spinne vor Augen hielt und die Dimensionen des Strangs, dann gewann er eine ungefähre Vorstellung vom Maßstab des Bildes. Was er sah, war ein gigantisches Netz mit einer Ausdehnung von vielen tausend Kilometern. Die Höhle der Gharwos, wie Girinaar sie genannt hatte, mußte ein Loch in der Oberfläche des Loolandre sein, in dem der Planet Terra Platz gefunden hätte. „Wo befindet sich auf diesem Bild Torquantuurs Festung?" fuhr Clifton Callamon mit der Befragung fort. „Drück die grüne Taste oben auf der Konsole, dann erfährst du es", lautete Praaks Antwort.
Callamon zögerte einen Augenblick. Wer sagte ihm denn, daß die Betätigung der Taste nicht einen höchst unerwünschten Mechanismus in Gang setzte? Dann drückte er zu. Im linken Drittel des Bildes erschien ein leuchtender, roter Punkt. Von ihm gingen dünne, grüne Leuchtlinien aus, die zaghaft in Richtung der Gespinstfäden vorstießen und überall, wo sie auf einen der Fäden trafen, entstand ein neuer, zuckender Leuchtfleck. „Torquantuurs Festung bewegt sich freischwebend durch die Maschen des Netzes", erklärte Praak bereitwillig. „Die Festung ist eine frühere Verteidigungsstation, die von einer längst vergangenen Generation der Gharwos eingerichtet wurde und lange verlassen durch das Innere der Höhle trieb. Die Fortschrittlichen nahmen sie in Besitz, nachdem sie die Dekadenz von sich abgeschüttelt hatten."
„Was sind die grünen Linien?" wollte Clif ton Callamon wissen. „Die Fortschrittlichen sind darauf angewiesen, sich mit Nahrung zu versorgen und zusätzliches technisches Wissen zu erwerben", antwortete der Paria. „Beides, die Nahrung und das Wissen, gibt es nur im Netz der Dekadenz. Torquantuurs Festung ist mit wandernden Fäden ausgestattet. Ihr kennt sie. Ihr selbst habt die Reise hierher auf einem solchen Faden unternommen. Wir müssen uns vor der Dekadenz hüten. Wenn sie jemals herausfände, wo wir uns versteckt halten, würde sie uns mit Hilfe ihrer technischen Überlegenheit zerdrücken. Deswegen schicken wir die wandernden Fäden nur aus, wenn wir unseres Zieles sicher sind. Die blitzenden Punkte zeigen uns an, wo wir einen Strang des Gharwo-Netzes erreichen können."
„Die Dekadenz kann euch nicht orten?" fragte Leo Dürk verwundert. „Ich bin nicht sicher, daß ich verstehe, was du meinst", sagte Praak. „Ich nehme an, mit Orten bezeichnest du das Wahrnehmen über große Entfernungen. Du täuschst dich wahrscheinlich über die Ausmaße des Netzes. Geräte, die die Festung über eine derartig große Distanz anmessen könnten, gibt es in der Technik der Gharwos nicht."
Der Waffenmeister wußte nicht, was er von Praaks Aussage halten sollte. Entfernungen von fünf-, zehn- oder einhunderttausend Kilometern waren für galaktische Ortergeräte eine Spielerei, und bisher hatte er nicht feststellen können, daß die Technik der Gharwos - so vernachlässigt sie im Bereich der Parias auch sein mochte - der galaktischen nennenswert unterlegen sei. Aber dann erinnerte er sich an die Schwierigkeiten, die Fritz, der Bordcomputer der LIZAMAR, mit der Wahrnehmung von Einzelheiten selbst in seiner nächsten Umgebung gehabt hatte. Im Vorfeld des Loolandre gab es offenbar energetische Einflüsse, die die Wirksamkeit herkömmlicher Ortermechanismen nachdrücklich einschränkten. „Was sind das für Kugeln an den Stellen, wo Netzstränge einander kreuzen?" erkundigte sich der Admiral. „Dort haben die Mitglieder der Dekadenz ihre Wohnungen, ihre Verteidigungseinrichtungen, ihre Verwaltungszentren. In der größten Kugel - du siehst sie dort annähernd in der Mitte des Bildes - wohnt Arnemar Lenx mit seiner Familie und seinem Stab."
Leo Dürk wunderte sich über die Bereitwilligkeit, mit der Praak Rede und Antwort stand.
War das wirklich nur die Sorge um Torquantuur und ihre Eiablage, oder...
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