1193 - Das Templerkind
kam mir hier schärfer vor, doch es war nur Wind und kein Regen. Das sah ich als Vorteil an.
Das Mädchen lief voraus. Es tänzelte einen relativ breiten Weg hoch, der in die Dünen hineinführte.
Ich rechnete damit, dass er an den Klippen endete, denn hier gab es die hohen Felsen und keinen breiten Sandstrand. Den fand man weiter im Süden.
Zwischen den Hügeln waren wir relativ windgeschützt. Clarissa hatte es recht eilig, und so musste ich mich beeilen, um bei ihr mithalten zu können.
Aber sie lief nicht bis zum Strand. Kurz davor drehte sie sich um, dann tauchte sie nach rechts ab, und ich hörte ihr helles Lachen vom Wind verwehen.
Den schmalen Weg hätte ich übersehen, aber Clarissa kannte sich aus und war auf dem direkten Weg zum Ziel.
Ich sah es ebenfalls.
Das konnte nur die kleine Ruine sein, die mitten zwischen den Hügeln lag, als wäre sie vergessen worden. Allerdings besaß sie relativ viel Platz. Sie hatte sich ausbreiten können. Mir fiel das gelbliche Mauerwerk auf, das an manchen Stellen frei aus dem Sand ragte, an anderen wieder von ihm überschüttet worden war.
Ich baute mich vor Clarissa auf. »Jetzt sag nur nicht, dass du hier deine Freunde finden willst.«
»Das ist aber so!« behauptete sie fest.
»Und wo?«
Sie deutete auf die Ruine. »Hier…«
Ich hatte noch immer meine Schwierigkeiten, ihr das zu glauben. Das alte Mauerwerk stand wie festgebacken in der Erde. Für mich lag auch auf der Hand, dass hier keine Menschen wohnen konnten. Wenn Clarissa von Freunden sprach, mussten das schon besondere sein und sicherlich nicht zu ihrem Alter passende.
»Warum siehst du mich so an?« fragte sie.
»Weil ich nachdenke.«
»Du glaubst mir nicht, John!«
»Sorry, Kind, aber ich weiß selbst nicht, was ich glauben soll oder nicht.«
»Sie sind hier.«
»Kann ja sein. Trotzdem möchte ich dich fragen, wie man hier denn überleben kann.«
»Das geht.« Mehr sagte sie nicht. Sie drehte sich abrupt um, und ich hatte wieder das Gefühl, als hätte sie sich innerhalb weniger Sekunden verändert.
Clarissa ließ mich einfach stehen. Sie lief um eine Mauerecke herum und war nicht mehr zu sehen.
Ich nahm die Verfolgung auf. Meine Füße klebten manchmal auf dem feuchten Sand fest. Struppiges Dünengras streichelte mich, und als ich die Mauer umrundet hatte, war Clarissa verschwunden.
In Luft hatte sie sich nicht aufgelöst. Ich hörte sie auch nicht, weil gerade an dieser Stelle der Wind in meinen Ohren knatterte.
Es gab keinen Weg mehr. Aber vor mir senkte sich das Gelände, und ich sah auch die Fußspuren an den Stellen, an denen Clarissa hergegangen war. Sehr deutlich malten sie sich im zusammengepappten Sand ab. Ich folgte ihnen und musste feststellen, dass diese Ruine größer war, als ich angenommen hatte. Mich führte der Weg in ein kleines Tal hinein. So ragten die Dünen an der linken Seite höher auf, während mich rechts eine alte Mauer begleitete, gegen die der Wind all den Sand geschleudert hatte, sodass sie gelbbraun aussah.
Einen Moment später bekam ich große Augen, als ich in der Mauer die recht breite Lücke entdeckte.
Sie war so etwas wie eine Tür oder ein Tor. Zumindest ein Eingang.
Nur darin konnte Clarissa verschwunden sein.
Ich blieb leicht geduckt vor der Öffnung stehen. Früher musste hier mal eine Bogentür gewesen sein, denn die Form war noch erhalten geblieben. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Wind auch den Sand bewegte. Die feinen Körner rieselten mir entgegen und prallten dabei wie seichte Regentropfen auf meine Jacke.
»Clarissa…?«, rief ich halblaut in das Dunkel hinein.
Sie gab mir keine Antwort.
Ich wollte schon die kleine Leuchte hervorholen, als ich ihre Stimme vernahm. »Ich bin hier, John. Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen.«
»Warte, ich komme.«
»Nein, bleib.«
»Und dann?«
»Bitte, John, tu mir den Gefallen. Es ist alles in Ordnung.«
Ich blieb hart. »Was ist denn mit deinen Freunden?«
»Keine Sorge, sie sind hier.«
Ich wusste nicht, ob ich ihr das glauben sollte. Aber ich machte gute Miene zum schlechten Spiel und hielt mich zunächst zurück. Unheimlich kam mir dieser Platz hier nicht vor, aber schon bedrückend. Er lag tief in den Dünen versteckt. Zumindest im Winter war er einsam. Im Sommer weniger.
Da war diese alte Ruine sicherlich auch Ausgangspunkt für Kinder, die auf Abenteuer aus waren.
Ausgerechnet jetzt meldete sich mein Handy. Ich hatte vergessen, den Apparat abzustellen. Angerufen wurde ich
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