1195 - Der Engelskerker
Tat. Und ich denke, dass wir uns näher darüber unterhalten sollten.«
»Klar.« Er blieb ernst. »Sag mir nur, wie sie den Kontakt mit dir aufgenommen hat.«
Ich deutete gegen meinen Kopf. »Also auch bei dir.«
»Bei dir ebenfalls?«
»Nein, John. Ich habe nichts von ihr gehört. Aber Dagmar. Sie war der Anstoß gestern Abend, und es ist schon einiges passiert. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Was genau?«
»Nicht hier, John. Außerdem ist es mir hier zu kalt. Das sollten wir im Hotel bei einer Tasse Kaffee bereden. Dort wartet auch Dagmar auf mich. Ich sage nur so viel. Die vor uns liegende Nacht wird wichtig sein. Da könnte dann einiges passieren.«
»Hat es Tote gegeben?«
»Zum Glück nicht, John. Nur einen Schwerverletzten. Es ist der Wirt des Engelskerkers.«
»Bitte?« Ich trat einen Schritt zurück und berührte mit der Hacke einen hart gefrorenen Schneehaufen. »Wie heißt das Lokal? Engelskerker?«
»Ja.«
»Das ist genau der richtige Name«, murmelte ich. »Ein Kerker, in dem Engel gefangen gehalten werden. Alle Achtung. Ich nehme an, dass wir dort ansetzen müssen.«
»Ja, und da ist auch schon etwas passiert. Aber jetzt lass uns gehen. Etwas Warmes wird dir gut tun.«
»Nichts dagegen, Harry.« Ich schlug ihm auf die Schulter. »Dass wir uns auch mal wiedersehen, freut mich. Aber da sieht man wieder, wie klein die Welt ist.«
»Du sagst es, Geisterjäger…«
***
Ich hatte mir nicht nur einfach einen Kaffee bestellt, sondern einen Rüdesheimer Kaffee, Kaffee mit Weinbrand und einer Sahnehaube.
Wir saßen uns im gemütlichen Restaurant des Hotels gegenüber, und ich hatte mich nicht nur durch die ersten Schlucke von innen gewärmt, sondern wärmte auch meine Hände, die ich um die hohe Tasse gelegt hatte. Wir saßen direkt am Fenster und konnten so immer wieder auf den Marktplatz schauen.
Auch Dagmar Hansen war aus allen Wolken gefallen, als sie mich zusammen mit Harry Stahl in das Restaurant hineinkommen gesehen hatte. Sie war mir um den Hals gefallen, ich war dreimal geküsst worden, als hätte sie genau prüfen wollen, ob ich es auch tatsächlich war, den sie vor sich sah.
Wir hatten nicht viel geredet. Es stand nur fest, dass wir gemeinsam an einem Fall arbeiteten, und der drehte sich um eine Person namens Michaela.
»Wer ist sie?« fragte ich.
Da konnten mir die beiden auch nicht helfen. Doch ich hörte genau zu, als sie mir berichteten, was sie in der vergangenen Nacht erlebt hatten.
»Es gibt den Beweis, John«, erklärte Harry Stahl. »Das ist der Wirt. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht. Die Ärzte wissen noch nicht, ob er durchkommt. Ich hoffe es für ihn.«
Der Meinung war ich auch. »Aber was hast du deinen Kollegen von der Polizei gesagt?«
»Wir haben es als Überfall hingestellt.«
»Was es ja auch irgendwie war.«
»Richtig. Ein Überfall aus dem Engelskerker.«
Ich sagte zunächst mal nichts und schaute die beiden nur schräg von der Seite her an.
»Ja, stimmt.«
»Ist das Lokal denn ein Kerker, Harry?«
»Nein, natürlich nicht. Es hat nur den Namen.«
»Es sieht auch nicht aus wie ein Kerker«, bestätigte Dagmar Hansen.
»Was hat es denn für eine Vergangenheit?« erkundigte ich mich.
Dagmar, die am Rundbogenfenster saß und freien Blick auf den Platz hatte, zuckte nur die Achseln.
»Wir haben versucht, es herauszufinden. Ich will nicht sagen, dass es unmöglich ist, aber wir haben schon unsere Schwierigkeiten bekommen. Diese Stadt erstickt fast in der Geschichte, aber über einen Engelskerker will niemand etwas wissen. Auch hier im Hotel nicht.«
»Und der Wirt kann nicht reden, nehme ich an.«
»Ja.«
»Was ist mit seiner Frau und den Angestellten?«
»Die Frau ist nicht da. Wir hörten, dass sie eine Verwandte in Süddeutschland besucht. Aber sie wird sich wohl so schnell wie möglich auf den Weg machen, um bei ihrem Mann zu sein. Uns soll das nicht stören. Wir müssen versuchen, den Fall auch ohne sie zu lösen.«
Das stimmte. Jedenfalls war für mich wichtig, dass ich mich nicht geirrt hatte. Es gab also die Person, deren Schreie mich erwischt hatten. Nur hatte ich sie noch nicht gesehen, da waren mir die beiden voraus.
Ich kannte auch die Beschreibung. Ich wusste, wie schön Michaela war. »Könnte der Fall in die Richtung Hexenverurteilung laufen?«, fragte ich leise.
»Daran haben wir auch gedacht«, sagte Harry. »Besonders hier im Harz haben Hexen Hochkonjunktur. Du kannst ihnen praktisch nicht entgehen, und es sind vor
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